Stabilität des Kaukasus durch UN-Missionen

 

Ortsgespräch

 

Seit dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 hat sich Georgien - das schon zuvor durch Referendum unter dem gewählten Präsidenten Gamsachurdia als unabhängig erklärt wurde - nicht dem losen Staatenbund der GUS unter Moskaus Führung anschließen wollen. 1992 wurde Georgien von Deutschland, der EU und den Vereinten Nationen anerkannt. Neben dem realitätsfernen und sprunghaften Feingeist Gamsachurdia ragte jedoch schon damals eine weitere politische Figur aus dem politischen Alltag in Tiflis hervor: der ehemalige Außenminister Gorbatschows und Freund der Einigung Deutschlands, der jetzige Präsident Eduard Schewardnadse.

 

Aus der Sowjetzeit stammen auch noch einige Tausend russischer Soldaten, die ohne formalen Status im Land blieben. Es handelt sich jetzt noch um vier Stützpunkte des russischen Militärs (Vasiani, Gudauta, Achalkalaki und Batumi), wobei Vasiani wegen des großen Luftwaffenstützpunktes oft zweimal gezählt wird.

 

Russland versteht sich dabei nicht allein als Ordnungsmacht, die Präsident Schewardnadse freilich gern loswerden würde. Im Kaukasus vermutet man heute zehn Prozent der Erdölreserven der Welt. Auch die Pipeline, die nach ihrer Fertigstellung aserbaidschanisches Erdöl durch Georgien zum Schwarzmeerhafen Supsa transportieren soll, hat es ihnen angetan. Seither wird vermutet, dass von Russland gesteuerte Kräfte an Unruhen teilnehmen, wohl auch an einem der drei Attentate gegen den Präsidenten Georgiens vom 9. Februar 1998, dem er nur knapp entging. Auch der Konflikt um Abchasien wird vermutlich von russischer Seite geschürt. Da Georgien ein unabhängiger Staat ist, konnte es um Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft ersuchen und bereits vor Jahren die UN- und OSZE-Missionen ins Land rufen. Es scheint an der Zeit zu betonen, dass die zivilisierte Staatenwelt die Stabilität des Kaukasus stärker als europäisches und internationales Sicherheitsproblem zur Kenntnis nehmen sollte.

 

ES: Herr Botschafter, sie waren von 1995 bis 1996 Leiter der OSZE-Mission in Georgien. Seit November 1999 sind Sie Sondergesandter des UN-Generalsekretärs in Georgien. Dort sind die Vereinten Nationen mit ihrer Mission UNOMIG an vier Orten vertreten: Suchumi, wo sich der Hauptstab der Militärbeobachter mit dem pakistanischen General Bajwa befindet, Gali (auf der abchasischen Seite der Waffenstillstandslinie), Zugdidi (auf der georgischen Seite) und Tbilisi/Tiflis, wo von den UN-Kräften vor allem politische Arbeit im Rahmen des Friedensauftrags geleistet wird. UNOMIG hat sich das Ziel gesetzt, das am 14. Mai 1994 geschlossene Waffenstillstandsabkommen zwischen der Regierung Georgiens und den rebellischen Anführern Abchasiens zu überwachen - vor allem im Hinblick auf die Waffenstillstandslinie am Fluss Inguri und angrenzende Gebiete. Das Waffenstillstandsabkommen ist auch rechtliche Grundlage für die Tätigkeit der militärischen UN-Beobachter sowie für die Friedenstruppe der GUS, die ein ausschließlich russisches Kontingent mit zurzeit 1.600 Soldaten stellen. Soll das vom UN-Sicherheitsrat bis Ende Januar 2001 verlängerte Mandat der UNOMIG nunmehr auslaufen? Welche Erfolge hat UNOMIG erzielen können und welche Aufgaben sind noch zu stellen und zu lösen?

 

Boden: Die Aufgabe, die ich als Leiter von UNOMIG übernommen habe, ist doppelter Natur: einmal die Überwachung des Waffenstillstands mit Hilfe eines Kontingents von momentan 103 Militärbeobachtern, zum anderen die Vorbereitung einer umfassenden politischen Friedensregelung, die als Kernpunkte 1. die Wahrung der territorialen Integrität Georgiens und 2. die Rückkehr aller Kriegsflüchtlinge in ihre angestammte Heimat umfasst. Die Bilanz nach fast sieben Jahren Tätigkeit ist für UNOMIG gespalten: Zwar gelang es, das Wiederaufflammen von Kriegshandlungen zu verhindern. Jedoch ist dieser Friede brüchig, solange eine vereinbarte politische Lösung zwischen den beiden Konflikt-Parteien nicht gefunden werden kann. Immerhin konnten die Grundlagen für eine solche Lösung geschaffen werden. Das waren insbesondere beiderseits vereinbarte Verhandlungsmechanismen im Rahmen des von den Vereinten Nationen präsidierten "Genfer Prozesses". Nun wird es wesentlich vom politischen Willen der beiden Konfliktseiten abhängen, um das Ziel zu erreichen.

 

Solange der politische Friedensprozess nicht einen positiven Abschluss gefunden hat, ist damit zu rechnen, dass das Mandat für UNOMIG durch den Sicherheitsrat in New York verlängert wird. Ich rechne fest mit einer solchen Verlängerung bei Auslaufen des jetzigen Mandats Ende Januar 2001.

 

ES: Sie berichteten am 18. Dezember 2000 vor dem Europarat in Straßbourg über Stand und Verletzung der Menschenrechte in Abchasien. Die Achtung der Menschenrechte ist aber ohne sicherheitspolitische Stabilisierung dieser Region nicht denkbar. Wie stellt sich Ihnen aus heutiger Sicht die Tätigkeit dieser Mission dar? Wo liegen vor allem die Gefahrenpunkte beim Prozess der Beobachtung?

 

Boden: Wie schon erwähnt, erweist sich die Fortführung der Tätigkeit von UNOMIG als notwendig, solange eine politische Friedensregelung zwischen den Konfliktseiten nicht vereinbart ist. Die Lage im Konfliktgebiet an der Waffenstillstandslinie bleibt bis heute instabil, wofür auch zunehmende Kriminalität ursächlich ist. Allein im Jahre 2000 gab es im Konfliktgebiet bereits ca. 60 Todesopfer und zahlreiche Entführungen, was verdeutlicht, dass wir dort noch weit von der Normalität entfernt sind.

 

Unter solchen schwierigen Voraussetzungen leisten die Militärbeobachter von UNOMIG - und man sollte sich daran erinnern, dass sie kraft ihres Mandats unbewaffnet sind - eine bewundernswerte Aufgabe.

 

ES: Seit 10. Dezember 1996 hat der UN-Sicherheitsrat zur Überwachung der Menschenrechte das "UN Human Rights Office" in Abchasien eingerichtet. Dieses Büro arbeitet in enger personeller Anbindung mit dem Büro des High Commissioner for Human Rights (OHCHR) und bei enger Kooperation mit der OSZE-Mission in Georgien. Wie verläuft die praktische Kooperation der verschiedenen Missionen? Wie erfolgreich verläuft deren Tätigkeit, was könnte verbessert werden?

 

Boden: Das seit Ende 1996 in Suchumi bestehende Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen arbeitet gegenwärtig mit drei Mitarbeitern, von denen einer von der OSZE gestellt wird. Diese Zusammenarbeit - ein Novum zwischen diesen beiden internationalen Organisationen - verläuft bisher reibungslos. Das Menschenrechtsbüro verrichtet seine Arbeit im Rahmen des von den Vereinten Nationen geleiteten Friedensprozesses zur politischen Konfliktregelung in Abchasien. Gemäß Mandat sind seine Mitarbeiter gehalten, den Stand der Menschenrechte in Abchasien zu kontrollieren. Den Aufbau einer Zivilgesellschaft zu fördern und zu diesem Zweck die Tätigkeit nichtregierungsamtlicher Organisationen - der NGO’s - zu unterstützen. Es ist offensichtlich, dass sich die Arbeitsbedingungen des Büros unter den Gegebenheiten eines politisch nicht gelösten Konflikts bisher schwierig gestalteten. Seine Erfolgsbilanz kann sich jedoch durchaus sehen lassen, wenngleich aus verständlichen Gründen beide Konfliktseiten gelegentlich Kritik an der Tätigkeit des Büros üben. Als nächster Schritt ist für die nahe Zukunft die Einrichtung einer Filiale des Menschenrechtsbüros in Gali geplant, das in unmittelbarer Nähe der Waffenstillstandslinie liegt. Dort ist die Menschenrechtslage besonders wegen der zahlreichen in dieses Gebiet bereits zurückgekehrten Kriegsflüchtlinge georgischer Herkunft kritisch.

 

ES: Im Sinne einer sicherheitspolitischen Einbindung in den Westen hat Georgien schon seit langem den Wunsch nach Mitgliedschaft in der NATO geäußert. Ähnlich der ablehnenden Haltung Russlands bei der NATO-Osterweiterung im Falle Polens, Tschechiens, Ungarns oder gar der baltischen Staaten muss sicher mit starkem Einspruch Moskaus gerechnet werden. Wie sieht man im heutigen Kaukasus insgesamt die sicherheitspolitische Anbindung ihrer Länder an die westliche Staatenwelt?

 

Boden: Georgien begreift sich nach Geschichte, Kultur und demokratischen Traditionen, wie sie sich seit dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums herausgebildet haben, als ein westliches Land. Es möchte entsprechend an der Einbindung in politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen Europas teilhaben. Dies wird im Prinzip auch von Russland nicht bestritten. Akzentunterschiede gibt es jedoch zum Tempo dieses Prozesses und zur sicherheitspolitischen Einbindung - vor allem hinsichtlich der NATO.

 

ES: Erwachsen in diesem Spannungsfeld der Weltgemeinschaft neue Aufgaben in Kooperation mit Russland, das nicht nur in der Partnerschaft für den Frieden ansprechbar ist? Sehen Sie aus Sicht der Vereinten Nationen Ansätze zu einer umfassenden Kaukasus-Sicherheitskonferenz? Was könnte Deutschland, was die EU dazu beitragen? Wird ein entsprechender Vorschlag von Präsident Schewardnadse in naher Zukunft vielleicht doch aufgegriffen werden?

 

Boden: Die internationale Staatengemeinschaft, wie auch Russland im Besonderen, haben ein gemeinsames Interesse an der Stabilisierung der Kaukasus-Region und daher auch an der Regelung dort noch bestehender Konflikte. Dabei mögen die Ansichten zu Methoden und Wegen im Einzelnen noch auseinander gehen. Ich bin davon überzeugt, dass sich langfristig ein gemeinsamer politischer Ansatz durchsetzen wird.

 

Eine internationale Kaukasus-Sicherheitskonferenz könnte auf diesem Wege nützliche Anstöße geben. Entsprechende Vorschläge von Präsident Schewardnadse, aber auch des aserbeidschanischen Präsidenten Alijev, des ehemaligen türkischen Präsidenten Demirel, des armenischen Präsidenten Kotscharian sowie des Präsidenten von Inguschetien, Auschev, liegen auf dem Tisch. Bisher ist es jedoch bei einer allgemeinen Erörterung solcher Vorschläge geblieben, ohne dass konkrete Initiativen unternommen worden wären.

 

Die EU ist in einigen dieser Konferenz-Projekte als Teilnehmer vorgeschlagen und könnte sicherlich nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet, wo sie vor allem über das TACIS-Programm bereits tätig ist, sondern auch durch ihr politisches Gewicht, eine Entwicklung zur politischen Stabilisierung des Kaukasus maßgeblich mit vorantreiben. Deutschland, das vor allem in Georgien traditionell bis heute hohes Ansehen genießt, könnte in diesem Rahmen mit politischen Initiativen hervortreten.

 

ES: Der stellvertretende Generalstabschef Russlands, General Manilow, hat kürzlich vor einem deutschen Fernsehteam behauptet, es gebe keinen Abzug der russischen Truppen aus Georgien, da der Kaukasus historisch zum traditionellen und hart erkämpften Einflussgebiet Russlands gehöre. Wie groß stehen - aus der Sicht der Vereinten Nationen - die Chancen einer baldigen Auflösung der Stützpunkte Russlands im Kaukasus?

 

Boden: Was die in Georgien befindlichen vier russischen Militärstützpunkte betrifft, so ist der Prozess ihrer Auflösung mit der Istanbuler Gipfelerklärung der OSZE vom November 1999 politisch vorherbestimmt. Zwei dieser Basen, nämlich Vasiani und der in Abchasien gelegene Luftwaffenstützpunkt Gudauta, müssen bis zum 1. Juli 2001 geräumt sein. Politische Gespräche über die Liquidierung der restlichen zwei Stützpunkte müssen in nächster Zeit mit dem Ziel der Vereinbarung eines präzisen Räumungsfahrplans abgeschlossen werden.

 

Russland hat sich wiederholt zu den Verpflichtungen aus der Gipfelerklärung von Istanbul bekannt. Bilaterale Gespräche zwischen Georgien und der Russischen Föderation über Modalitäten des Abzugs, die allerdings gerade wegen der politischen Problematik des Stützpunkts von Gudauta nicht ohne Komplikationen verlaufen, sind im Gange.

 

Das Gespräch führte Dr. Eduard Gloeckner in Berlin