Der Weg in den Abchasien-Krieg

Alexandr Kokejew / Georgi Otyrba

April 1997.

Inhalt

Einleitung 1

1 Der Kampf um die Geschichte: Georgische und abchasische Aspirationen .....................  4

2 Der Konflikt um den verfassungsrechtlichen Status Abchasiens .................................. 10

3 Territorium und Sprache: Konstitutive Elemente der abchasischen Nationalbewegung ..... 17

4 Die politische Mobilisierung der georgischen und abchasischen Nationalbewegungen ....... 25

5 Die Eskalation des georgisch-abchasischen Konflikts ................................................ 34

6 Abchasien drei Jahre nach Kriegsende - Die Probleme bleiben .................................... 41

7 Chronik des Abchasienkonflikts von 1989 bis 1997 ................................................... 44

April 1997

Redaktion: Manfred Sapper/Claudia Wagner

Layout: Angela Jäger

Dr. Alexandr Kokejew ist Abteilungsleiter am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO) der Rußländischen Akademie der Wissenschaften, Moskau

Dr. Georgi Otyrba ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Staatlichen Universität Abchasien.

Einleitung

Der Zerfall der Sowjetunion hat tiefe Veränderungen im etablierten System der internationalen Beziehungen verursacht, deren Tragweite bis heute noch immer nicht vollständig absehbar ist. Eine der Begleiterscheinungen und Folgen der Auflösung der UdSSR ist ein Aufschwung des Nationalismus, der zahlreiche gewaltsam ausgetragene Konflikte hervorrief. Manche erwiesen sich als dauerhaft und blutig. Noch vor wenigen Jahren war „die unverbrüchliche Freundschaft der Sowjetvölker" von den meisten Experten auch im Westen nicht als ein reines Ideologem demaskiert worden, sondern sie sahen darin ein reales Phänomen. Ethnopolitische Konflikte gab es scheinbar nicht, und kaum jemand konnte sich vorstellen, daß je ein Bürgerkrieg die an der Schwarzmeerküste liegenden abchasischen Kurorte Gagra und Suchum erschüttern würde. Tatsächlich aber stellte sich heraus, daß die politische Macht und das ideologische Monopol der Kommunistischen Partei der UdSSR die einzigen Klammern für den Zusammenhalt des Vielvölkerreiches gewesen waren. Nach der Beseitigung dieses Machtmonopols gewann ein fast überall totgeglaubtes und kaum mehr beachtetes Phänomen an Schubkraft: die nationalen Bewegungen. Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre entstanden sie praktisch auf dem gesamten Territorium der ehemaligen UdSSR. Im Baltikum, in der Ukraine, in Armenien und Georgien erwiesen sie sich als besonders mächtig. Im Mittelpunkt der Forderungen dieser anfänglich national-demokratischen Bewegungen standen Probleme wie die stärkere Berücksichtigung der eigenen nationalen Besonderheiten und die Förderung nationaler Kultur, die Aufarbeitung bestimmter Perioden der Geschichte, die Souveränität innerhalb einer erneuerten Sowjetunion und schließlich die völkerrechtliche Unabhängigkeit. Sehr bald stellte sich aber heraus, daß die Auflösung des Zwangsverbandes der Sowjetunion nicht nur die Chance bot, die Staats- und Gesellschaftsordnung nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sondern auch eine ganze Reihe von schwerwiegenden Problemen und Konflikten hervorbrachte. Der Konflikt zwischen Abchasien und Georgien reiht sich dabei in eine Kette postsowjetischer Nationalitätenkonflikte ein, die mit den Unruhen am 2. Dezember 1986 in der kasachischen Hauptstadt Alma-Ata ihren Ausgang nahmen. Dabei stellte sich der Kaukasus mit seiner ethnischen Vielfalt, seinen ausgeprägten Traditionalismen und seinem in Folge von Grenzverschiebungen, Umsiedlungen und anderen sowjetischen Ordnungsversuchen angehäuften Konfliktpotential als besonders gefahrenträchtige Region heraus. Hier eskalierten die latenten Nationalitätenkonflikte ab 1988/89 zu offenen politischen Auseinandersetzungen und mit dem herannahenden Ende der Sowjetunion zu bewaffneten Konflikten und regelrechten Kriegen.(1)

Zweifellos sind alle Nationalitätenkonflikte im Kaukasus trotz ihrer potentiell wichtigen ethnischen und religiösen Motive in erster Linie politischer Natur. In jedem Einzelfall gründete sich der Konflikt auf "die von der nationalen Minderheit wahrgenommene Diskriminierung, Verletzung der Menschenrechte oder wirtschaftliche Unterdrückung von seiten der ethnischen Mehrheit, die das gesamte Staatsterritorium kontrollierte."(2) So auch in Abchasien, wo seit 1988 offen sezessionistische Tendenzen auftraten, denen Georgien anfangs politisch und am 14. August 1992 mit dem Einmarsch seiner Truppen in die damals Autonome Republik militärisch zu begegnen suchte. Damit begann ein Krieg, der über ein Jahr währte und erst Anfang Oktober 1993 mit dem Sieg der abchasischen Truppen sein vorläufiges Ende gefunden hat. Dieser Krieg gehört zu den blutigsten Konflikten, die Europa seit dem Ende des Kalten Krieges in Atem halten. Er hat nicht nur Tausende von Menschenleben gefordert, sondern auch viel Flüchtlingselend verursacht. Weit über hunderttausend Menschen waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, entweder, um den Greueln des Krieges zu entgehen, oder weil sie Opfer systematischer Vertreibung wurden. Nach den bewaffneten Auseinandersetzungen und der sich daran anschließenden fragilen Ruhe sind die Infrastruktur und die Wirtschaft Abchasiens ruiniert. Es wird viel Zeit kosten, um allein die ökonomischen Grundlagen neu zu schaffen.

Sowohl pro-georgische Autoren wie Swetlana Tscherwonnaja als auch pro-abchasische wie W. Scharijasind sind sich darüber einig, daß es keine Gründe gegeben hat, die zwangsläufig zu der bewaffneten Auseinandersetzung von zwei seit Jahrhunderten friedlich zusammenlebenden Völkern führen mußten(3) . Tatsächlich fällt es bei aller Komplexität der georgisch-abchasischen Beziehungen schwer, ein einziges Problem zu finden, das nicht auf friedlichem Wege hätte geregelt werden können und auch noch heute nicht gewaltfrei lösbar wäre. Gleichzeitig - auch angesichts aller durchaus  berechtigter Vorwürfe an die Adresse jener Politiker, die zur Gewalt gegriffen haben - darf die Vielschichtigkeit der  Lage nicht unterschätzt werden. Der unvollständige Staatsaufbau der ehemaligen UdSSR, das komplizierte Verhältnis zwischen einer Autonomen Republik, einer Unionsrepublik und dem sowjetischen Zentrum Moskau(4) , ein allgemein niedriges Niveau politischer Kultur, das in den Parolen und Grundhaltungen der neuen Nationalbewegungen zum Ausdruck gekommen ist, und schließlich eine Reihe von ethno-psychologischen Faktoren, die eine tiefe Spur im kollektiven Gedächtnis der Völker hinterlassen haben, prägen die Grundprobleme dieser Region. Viele dieser  Entwicklungen, die zur Eskalation des lange existenten Konfliktpotentials in Abchasien bis zum Krieg geführt haben, waren „von der Vergangenheit determiniert, oft von noch einer Vergangenheit, die vor das Bestehen der großen und mächtigen UdSSR zurückreicht".(5) Die dem Kriegsausbruch unmittelbar vorangehenden Ereignisse, die wesentlichen Etappen und Positionen der Hauptkonfliktparteien sowie Rußlands Rolle in diesem Krieg wurden in einer Reihe von Beiträgen bereits behandelt.(6)

Dagegen sind den Bedingungen und Formen der Entstehung der abchasischen Nationalbewegung noch nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet worden. Sie sollen deshalb im Mittelpunkt der folgenden Untersuchung stehen.

1 Der Kampf um die Geschichte: Georgische und abchasische Aspirationen

Wie aus anderen Nationalitätenkonflikten und -kriegen bekannt, bemühten sich Abchasier und Georgier gleichermaßen, ihren konkurrierenden Ansprüchen den Mantel historischer Legitimität und damit unabweisbarer Rechtmäßigkeit umzuhängen. So weisen die Abchasier bis heute die georgische Formel zurück, nach der Abchasien ein „untrennbarer Bestandteil Georgiens" sei. Eine Reihe abchasischer Historiker, die zu aktiven Funktionären der abchasischen Nationalbewegung werden sollten, betonten nachdrücklich, daß die Abchasier von alters her ihr eigenes Territorium, ihre eigene Regierung und das Recht auf Herstellung formaler Beziehungen zu anderen Staaten besaßen und damit die autochthone Bevölkerung auf diesem Territorium darstellten, auch wenn sie infolge verschiedener Kriege und Migrationsprozesse zur nationalen Minderheit in Abchasien wurden. Auch Tiflis bemüht bis heute die Geschichte, um abchasische Forderungen nach Souveränität oder sogar nach einer abchasischen Autonomieregelung innerhalb Georgiens in Frage zu stellen. Die radikalsten Vertreter der georgischen Nationalbewegungen stellen sogar die Existenz eines abchasischen Ethnos grundsätzlich in Abrede: „Früher lebten hier Kolchi, Apsili, Abasgi. Diese ganze Gemeinschaft, eben das Konglomerat und nicht ein einzelnes Volk, wurde Abchasier genannt. Das abchasische Fürstentum stellte im Laufe der Jahrhunderte einen untrennbaren Teil des georgischen Staates sowohl in politischer als auch in kultureller Hinsicht dar. (...) In Georgien hat es überhaupt niemals irgendwelche autonomen Gebiete gegeben", so das Vorstandsmitglied der Partei der Nationalen Unabhängigkeit Georgiens, Iraklij Batiaschwili.(7) Die Realität ist komplizierter. Seit den ersten schriftlichen Aufzeichnungen der Antike besiedelten die Abchasier die Gebiete des östlichen Schwarzmeerufers, eine Region, die immer wieder zum Spielball äußerer Mächte wurde. Griechen, Römer, Perser, Byzantiner, die Araber, Seldschuken, Mongolen, Osmanen und nicht zuletzt Rußland suchten hier über Jahrhunderte ihren Einfluß geltend zu machen und verhinderten so die Entstehung stabiler autochthoner Herrschaften. Es dauerte daher bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, bis sich ein abchasisches Königreich mit der im heutigen Westgeorgien gelegenen Hauptstadt Kutaissi etablieren konnte. Bereits im Jahre 989 wurde das abchasische jedoch mit dem georgischen Königreich vereint. Dieses Datum dient georgischen Nationalisten bis auf den heutigen Tag zur Begründung ihrer territorialen Ansprüche. Als Ergebnis der Spaltung Georgiens in eine Vielzahl regionaler Fürstentümer gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstand auf dem Territorium Abchasiens erneut ein selbständiger Staat, der jedoch seit dem 16. Jahrhundert zusehends unter den Einfluß des Osmanischen Reiches geriet. Zwar wurde Abchasien administrativ nicht in das osmanische Imperium eingegliedert, es entstanden an seiner Uferzone jedoch eine Reihe türkischer Festungen, darunter das heutige Suchum. Es trug den Namen Suchum Kale und wurde 1578 an der Stelle der ursprünglich hellenischen Siedlung Dioskurias errichtet.(8) Auch wurden in dieser Periode große Teile der abchasischen Bevölkerung, die im 6. Jahrhundert offiziell das Christentum (ursprünglich aus Byzanz und in der Folgezeit mit der orthodoxen georgischen Kirche vereint) angenommen hatten, islamisiert. Moscheen indes wurden auf dem Territorium Abchasiens nicht errichtet, und die muslimische Geistlichkeit kam ausschließlich aus dem Osmanischen Reich.(9) Im Jahre 1810 wandte sich der Herrscher Abchasiens, Fürst Scherwaschidse, an den Zaren Alexander I. mit dem Gesuch um Aufnahme in das russische Kaiserreich, und Abchasien ging als Protektorat in das Gebiet Rußlands ein. Gegenwärtige Führer der abchasischen Nationalbewegung erinnern sehr oft an dieses Datum, übrigens ausschließlich im positiven Sinne, auch wenn das Land erst 1864 zu einem integralen Teil des Zarenreiches wurde. Die Beziehungen Rußlands zu Abchasien gestalteten sich jedoch nicht einfach. In Abchasien brachen vor dem Hintergrund einer gezielten Russifizierungs- und Kolonisierungspolitik mehrmals Aufstände aus (1812, 1824, 1839/1840, 1866). Und mit dem Ende des Kaukasischen Krieges (1864) setzte eine breite Emigrations- welle von Abchasiern in die Türkei ein, was sowohl von den türkischen als auch von den russischen Machthabern gefördert wurde. Allein im Jahre 1866 wanderten etwa 20.000 Menschen dorthin aus. Die Nachfahren dieser (zumeist muslimischen) Emigranten leben heute überwiegend in der Türkei, aber auch in Syrien und Jordanien. Ihre Gesamtzahl wird mit 200.000 beziffert -eine abchasische Diaspora, die den Bevölkerungsanteil der abchasischen Nation in der ehemaligen Heimat deutlich übersteigt.(10) Zurück blieben in erster Linie die christlichen Teile der abchasischen Bevölkerung. Im Zuge dieser Massenemigration entvölkerten sich  weite Gebiete Abchasiens, wohin in den folgenden Jahrzehnten zahlreiche Übersiedler einwanderten. Dadurch verwandelte sich Abchasien in eine ethnisch buntgefächerte Region. In den verlassenen Ortschaften siedelten Russen, Armenier, Griechen, Esten und vor allem Georgier. Im Jahre 1886 betrug der Anteil der Abchasier an der Bevölkerung des Landes noch 85,7 Prozent, während die Georgier lediglich sechs Prozent ausmachten. Nur zwölf Jahre später jedoch, im Jahre 1898, war der Anteil der Abchasier bereits auf 55,3 Prozent gesunken und jener der Georgier auf 24,4 Prozent angestiegen.(11) Abchasien blieb als Bezirk Suchum Teil des russischen Imperiums bis zu dessen Zerfall, der nach der Februar-Revolution 1917 einsetzte. Am 8. November 1917 wurde in Suchum ein abchasischer Volkssowjet geschaffen, der in der Folgezeit zu einem realen Machtorgan wurde. Er schloß am 9. Februar 1918 mit dem nationalen Rat Georgiens eine Vereinbarung über die Beziehungen zwischen beiden Ländern, in der die Existenz „eines einheitlichen unteilbaren Abchasien in den Grenzen vom Fluß Ingur bis zum Fluß Msymta" (etwas später bildete der Fluß Psou die westliche Grenze) anerkannt wurde.(12) Bereits im Juni 1918 drangen jedoch unter dem Vorwand des Kampfes gegen bolschewistische Gruppen Truppen der Georgischen Demokratischen Republik, die im Mai 1918 gegründet worden war, in Abchasien ein und errichteten dort ein Besatzungsregime. Heute wird diese faktische Annexion Abchasiens in Tiflis als "Wiederherstellung der territorialen Integrität Georgiens" gefeiert.(13) Doch damit ist die Geschichte Abchasiens keineswegs beendet. Im Februar 1921 eroberte die 11. Rote Armee unter Sergo Ordschonikidse das unabhängige Georgien und bereitete der Demokratischen Republik Georgien ein Ende. An ihre Stelle  wurden die „Sozialistische Sowjetrepublik Georgien" und gleichrangig am 4. März 1921 die „Sozialistische Sowjetrepublik Abchasien" gegründet. Sie konnte diesen Status bis zum Jahre 1931 aufrechterhalten, als sie als „Autonome Abchasische Sozialistische Sowjetrepublik" (Abchazkaja ASSR) abermals Teil der Georgischen SSR wurde. In   der Periode bis 1931 gründeten sich die Beziehungen Georgiens und Abchasiens auf einen gesonderten Unionsvertrag, der am 16. Dezember 1921 unterzeichnet worden war. Danach traten die beiden „souveränen" Republiken in „eine militärische, politische und finanziell-ökonomische Union" ein.(14) Diese Form der beiderseitigen Beziehungen fand ihren Niederschlag auch in der Verfassung der Sozialistischen Sowjetrepublik Abchasien, die am 26. April 1925 angenommen wurde. Danach ging die Sozialistische Sowjetrepublik Abchasien, die sich auf der Grundlage des Unionsvertrages mit Georgien zusammengeschlossen hatte, in die „Transkaukasische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik" ein und als Mitglied der letzteren in die „Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken". Die Souveränität Abchasiens wurde auf diese Weise nicht durch die Verfassung Georgiens, sondern allein durch die Verfassung der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und der UdSSR begrenzt, womit sich Abchasien ohne Bezug auf Georgien formal das Recht bewahrte, aus dem Bestand der beiden oben genannten Föderationen auszutreten. Als Amtssprache der Sozialistischen Sowjetrepublik Abchasien wurde anfangs allein Russisch bestimmt. Im Zuge einer Verfassungsänderung wurden 1927 sowohl Russisch als auch Abchasisch und Georgisch Amtssprachen.(15) Zu Beginn der 30er Jahre drängte die Parteiführung der Georgischen SSR sehr nachdrücklich nicht nur auf eine Vereinigung von Abchasien und Georgien, sondern auch auf eine deutliche staatliche Unterordnung Abchasiens, das heißt auf eine Annullierung des beiderseitigen Unionsvertrages und die Verwandlung Abchasiens in eine einfache Autonome Republik innerhalb der georgischen Grenzen. Dieses Ziel konnte im Jahre 1931 erreicht werden, nicht zuletzt auf Veranlassung der beiden Georgier Josif Stalin und Lawrentij Berija.(16) Eine solche Herabsetzung des Republikstatus wurde von vielen Abchasiern als Affront und Demütigung aufgefaßt. Für Abchasien hatte die Eingliederung in die Georgische SSR eine ganze Reihe negativer Konsequenzen. Als Autonome Republik verfügte sie nicht mehr über juristische und administrative Möglichkeiten, um sich gegen die forcierte Politik der „Georgifizierung" Abchasiens zu wehren, die gegen Mitte der dreißiger Jahre einsetzte und bis zum Beginn der fünfziger Jahre währte. So wurden die abchasischen Schulen ebenso abgeschafft wie der muttersprachliche Unterricht, die Vermittlung der abchasischen Sprache im Unterricht wurde zugunsten des georgischen eingestellt, auch abchasische Literatur konnte nur noch in georgischer Schrift erscheinen und selbst die abchasischen Familiennamen wurden zunehmend georgifiziert. Mit der Auflösung der Transkaukasischen Föderation 1936 begann eine Politik der systematischen „demographischen Eroberung" Abchasiens. Unter der Verantwortung Berijas wurde eine Organisation zum Aufbau von Wohnorten für Übersiedler aus anderen Gebieten Georgiens ins Leben gerufen („Abchaspereselenstroj"), mit deren Hilfe eine neuerliche georgische Einwanderungswelle auf das Territorium Abchasiens einsetzte. Dabei wurden Georgier sowohl in überwiegend abchasischen Ortschaften als auch in ehemals griechischen Dörfern angesiedelt, die nach der Deportation von Griechen aus Abchasien im Jahre 1949 frei geworden waren. Von 1937 bis 1956 verzeichnete Abchasien auf diese Weise annähernd 100.000 Umsiedler aus Georgien. Diese Politik der forcierten Migration wurde auch in der Folgezeit fortgesetzt. So war etwa noch 1976 geplant, bis zum Jahre 1980 weitere 60.000 und bis 1990 insgesamt 160.000 Menschen zum Umzug aus Georgien nach Abchasien zu bewegen. Im Zuge dieser Einwanderungswelle verschoben sich die Bevölkerungsanteile weiter zu Ungunsten der Abchasier. So wuchs der Anteil der georgischen Bevölkerung ständig und erreichte bei der letzten sowjetischen Volkszählung im Jahre 1989 45 Prozent, während der Anteil der Abchasier bei einer Gesamtbevölkerung von knapp 540.000 auf weniger als 18 Prozent zurückging.(17) Allerdings kam es nach dem Tode Stalins auch zu gewissen Lockerungen in der rigiden georgischen Nationalitätenpolitik. Schon im Jahre 1950 war die abchasische Sprache erneut in begrenztem Umfang als Unterrichtsfach an ausgewählten Schulen zugelassen worden, und Personen abchasischer Nationalität konnten wieder in leitende Stellungen der Autonomen Republik aufrücken.(18) Auch konnte seit 1954 das abchasische Schrifttum wieder in kyrillischer Schrift publiziert werden. In der Folgezeit versuchten die Abchasier gezielt gegen die „Georgifizierung" ihres Landes Widerstand zu leisten, indem sie für die Erhaltung der abchasischen Sprache, Kultur, Traditionen und Geschichte kämpften. Angesichts der gegebenen Möglichkeit, die Muttersprache zu lernen und eine obligatorische Fremdsprache selbständig zu wählen, entschieden sich die Abchasier für das Russische. Nach der offiziellen letzten sowjetischen Volkszählung von 1989 bezeichneten von den insgesamt 105.308 Personen abchasischer Nationalität 93,5 Prozent Abchasisch als ihre Muttersprache, 78,8 Prozent eigneten sich die russische Sprache an und 3,6 Prozent eine andere der Sowjetvölkersprachen. Was die Georgier betrifft, so gaben 3.981.045, also 98,2 Prozent Georgisch als ihre Muttersprache an, 33,1 Prozent beherrschten Russisch und ein Prozent eine andere  sowjetische Sprache.(19)

Die oben erwähnten Konzessionen änderten jedoch nichts an den Zweideutigkeiten und den begrenzten Kompetenzen, die den autonomen Republiken bei der Gestaltung ihrer Angelegenheiten im sowjetischen Staatsverband eingeräumt worden waren und auch in den georgisch-abchasischen Beziehungen eine Quelle wachsender Spannungen darstellten. So konnte Abchasien auf der einen Seite keine Frage von größerer Bedeutung ohne Zustimmung durch Tiflis entscheiden, was den Abchasiern immer wieder mit besonderer Bitterkeit ihren beschränkten Handlungsspielraum und Rechtsstatus vor Augen führte, zumal auch das Zentrum Moskau kaum Schutz vor den „Partokraten" in Tiflis bot. Andererseits verliehen die formellen und informellen Normen des sowjetischen Staatsaufbaus auch den Abchasiern Privilegien.(20) So waren zahlreiche Leitungspositionen der Nomenklatura exklusiv für die abchasische (Titular-) Minorität im eigenen Land reserviert, was wiederum die -quantitativ weit bedeutendere - georgische Bevölkerungsgruppe in Abchasien mit Bitterkeit registrierte. Es kann daher nicht verwundern, daß die latenten Gegensätze immer wieder in offenen Konflikten zum Ausbruch kamen. Dabei kam es trotz der rigiden innenpolitischen Bedingungen in der damaligen UdSSR einige Male - so in den Jahren 1957, 1967 und vor allem 1978, als eine neue georgische und damit auch eine neue abchasische Verfassung verabschiedet wurden, zu Massendemonstrationen in Abchasien. Hierbei wurden Appelle an die zentralen Moskauer Machtorgane gerichtet, die Abchasische ASSR der direkten Jurisdiktion der Rußländischen Sozialistischen Föderation (RSFSR) zu unterstellen.

2 Der Konflikt um den verfassungsrechtlichen Status Abchasiens

1988 tauchte erstmals die Forderung nach Wiederherstellung der Abchasischen Unionsrepublik auf. Begleitet waren diese Forderungen von offenen Vorwürfen, die gegen Ende der achtziger Jahre deutlich eskalierten. So wurde etwa der georgischen Seite vorgehalten: „Die Regierung Georgiens praktiziert in den Beziehungen zu Abchasien und dem abchasischen Volk eine nationalistische Großmachtpolitik. Faktisch kann man sie eine neue Berija-Politik nennen."(21) In Tiflis wiederum mußten solche Erklärungen die latenten antiabchasischen Stimmungen verstärken. So verwies die georgische Führung im Gegenzug nicht ohne Grund darauf, daß sich in der Autonomen Republik Abchasien im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine privilegierte Klasse ethnischer Abchasier formiert habe, die danach strebe, alle wichtigen Posten im politischen und kulturellen Leben einzunehmen und die Georgier systematisch zu verdrängen. Die Umgestaltung des Gebietes in eine Unionsrepublik würde dieser Klasse neue Möglichkeiten auf Kosten der georgischen Bevölkerung eröffnen. Damit war der Boden für eine weitere Verschärfung der Spannungen bis hin zum offenen Konflikt bereitet.

Offen zutage traten die Auseinandersetzungen um den künftigen Status Abchasiens spätestens mit Beginn des Jahres 1989. Ein Schlüsselereignis war die Kundgebung, die am 19. März 1989 in dem Dorf Lychny stattfand, einem Ort, der für jeden Abchasier heilig ist.(22) An ihr nahmen 30.000 Menschen teil, die den sogenannten „abchasischen Brief" verabschiedeten, in dem der Austritt Abchasiens aus dem Staatsverband Georgiens und die Wiedererrichtung der abchasischen Unionsrepublik gefordert wurden. Dieses Dokument rief in Tiflis heftige Reaktionen hervor. Georgien wurde von einer Welle antiabchasischer Demonstrationen erschüttert, auf denen Forderungen nach „Bestrafung" der Abchasier und nach Annullierung ihrer Autonomie erklangen. Der Protest gegen die abchasischen Sezessionsbestrebungen war auch einer der Auslöser jener Demonstrationen in Tiflis, die am 9. April 1989 von Truppen der sowjetischen Streitkräfte und des Innenministeriums blutig niederschlagen wurden und neunzehn Menschenleben forderten.(23) Nach diesen Ereignissen vollzog die kommunistische Führung Georgiens einen einschneidenden Kurswechsel: Im Zeichen georgischer Integrität und Unabhängigkeit gestattete sie georgisch nationalistischen Strömungen und Organisationen ausdrücklich, in der Öffentlichkeit aufzutreten und so zunehmend Einfluß auf die georgische Politik zu gewinnen. Dies zeitigte erste Konsequenzen, als mit Unterstützung der georgischen Gemeinschaft in Abchasien eine Teilung der abchasischen Universität in Suchum nach nationalen Gesichtspunkten verfügt wurde, was am 15. und 16. Juli 1989 zum unmittelbaren Anlaß für die ersten gewalttätigen georgisch-abchasischen Zusammenstöße wurde, bei denen erneut 17 Menschenleben und 448 Verletzte zu beklagen waren.(24)

Immerhin gelang es noch einmal, den Konflikt einzudämmen, auch wenn Demonstrationen und Streiks mit Forderungen nach Bestrafung der Schuldigen noch geraume Zeit anhielten. Die Eindämmung des Konflikts war einmal der militärpolizeilichen Präsenz der Moskauer Machtorgane in Abchasien zuzuschreiben, doch wird häufig auch ein weiterer Grund genannt: Gewalttätige Auseinandersetzungen während der Urlaubssaison entsprachen nicht den Interessen der regionalen Mafia, die das Touristengeschäft in Abchasien kontrollierte.(25) Auch wurde die Aufmerksamkeit der georgischen Führung von anderen Nationalitätenkonflikten innerhalb des Landes in Anspruch genommen, so etwa in Südossetien, wo sich Sezessionsbestrebungen, die auf eine Vereinigung mit Nord-Ossetien innerhalb der Russischen Föderation abzielten, ebenfalls gewaltsam entluden, oder im Landkreis Tsalski südwestlich von Tiflis, wo Kundgebungen mit Forderungen nach einer griechischen Autonomie stattfanden.(26) Etwa ein Jahr später spitzte sich der  Konflikt zwischen Abchasien und Georgien zu, nachdem am 25. August 1990 die abchasischen Deputierten des regionalen Obersten Sowjet in Abwesenheit ihrer georgischen Kollegen eine Deklaration über die Souveränität der Abchasischen ASSR verabschiedet hatten. Als rechtliche Grundlage für diese Entscheidung dienten die Beschlüsse des Parlaments in Tiflis aus den vorangegangenen Monaten, durch die im Zuge der eigenen Unabhängigkeitsbestrebungen alle Verträge der georgischen Regierung für ungültig erklärt wurden, die nach der Besetzung des Landes durch die Rote Armee im Februar 1921 abgeschlossen worden waren. Dies betraf den Unionsvertrag von 1922 und den Vertrag über die Transkaukasische Föderation, der die rechtliche Grundlage für die drei Autonomen Republiken innerhalb Georgiens, nämlich Adscharien, Abchasien und Südossetien, bildete.

Zeitgleich mit der Souveränitätserklärung verabschiedete der Oberste Sowjet der Abchasischen ASSR eine Entschließung „Über die rechtlichen Garantien zur Verteidigung der Staatlichkeit Abchasiens". Darin wurde erklärt, daß dem Obersten Sowjet der UdSSR Vorschläge zur Wiederherstellung des verfassungsrechtlichen Status Abchasiens im Sinne der Regelungen vom 4. März 1921 vorgelegt werden sollten. Weiter heißt es in dem Beschluß: „Bis zur Lösung der Frage durch den Obersten Sowjet der UdSSR und durch den Abschluß eines neuen Unionsvertrages gelten die gegenwärtig existierenden staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Abchasien und Georgien. Abchasien ist bereit, Verhandlungen mit Georgien über die weitere Gestaltung ihrer staatsrechtlichen Beziehungen aufzunehmen."(27) Begleitet waren diese Entschließungen des abchasischen Parlaments von neuerlichen scharfen Angriffen auf die Politik Georgiens und dessen Nationalitätenpolitik. Es ist zu berücksichtigen, daß das abchasische Interesse an einem neuen Unionsvertrag (28) durch eine Reihe der 1990 verabschiedeten Gesetze bekräftigt wurde. Sie enthielten Bestimmungen, die darauf zielten, den Status aller Autonomen Republiken zu verändern und aufzuwerten. So wurde in Artikel 6 des am 26. April 1990 verabschiedeten Gesetzes der UdSSR „Zur Abgrenzung von Machtbefugnissen zwischen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den Föderationsubjekten" geregelt, daß die Anerkennung neuer Autonomer Republiken, die Veränderung des Status’ bestehender Autonomer Republiken sowie die Lösung von Streitfragen zwischen Unionsrepubliken und Autonomen Republiken in die alleinige Kompetenz der obersten Staatsorgane der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken übertragen werde.(29) Die Autonomen Republiken wurden als „sowjetische sozialistische Staaten" und damit als Subjekte der Föderation, d.h. der UdSSR anerkannt. Von größter Bedeutung war aber für die offiziellen abchasischen Machtorgane die Gesetzesbestimmung, nach der „Autonome Republiken und Autonome Gebietskörperschaften auf der Grundlage freier Selbstbestimmung der Völker in den Bestand der Unionsrepubliken eingehen und auf ihrem Territorium und außerhalb der in die Kompetenz der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Unionsrepubliken übertragenen Machtbefugnisse über volle Staatsgewalt verfügen."(30) Diese gesetzlichen Bestimmungen gaben Abchasien im April/Mai 1990 einen formellen Anlaß, neue vertragliche Beziehungen zu Georgien zu fordern und die Frage zu stellen, wie der Status der Abchasischen Autonomen Republik als Teil der Georgischen Unionsrepublik zu revidieren sei. Diese Frage wurde besonders aktuell während der von 1990 bis 1992 andauernden Zeit der Konfrontation zwischen den Organen der Abchasischen ASSR und der georgischen nationalen Befreiungsbewegung. In dieser Zeit kam die georgische Regierung den Forderungen der Führer der Bewegung, die sowjetische Verfassung Georgiens aufzuheben, stufenweise nach. Dies führte jedoch nicht zu einer Klärung der Frage der künftigen Beziehungen zwischen Abchasien und Georgien. Die georgische Reaktion auf die Entschließungen des abchasischen Parlaments war nicht minder deutlich: Alle Beschlüsse des Obersten Sowjets in Suchum, die als Verletzung der Verfassung Georgiens zu interpretieren waren, wurden für null und nichtig erklärt. Damit war der Konfrontationskurs der kommenden Monate abgesteckt, den beide Seiten mit Unnachgiebigkeit und ohne sichtbare Anzeichnen von Dialog- oder Kompromissbereitschaft verfolgten. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß sowohl in Georgien als auch in Abchasien gegen Ende des Jahres 1990 die nationalistischen Kräfte politisch die Oberhand gewannen. So gingen im Oktober 1990 Swiad Gamsachurdia und seine Koalition „Runder Tisch - Freies Georgien" als Sieger aus den ersten freien Wahlen in Georgien hervor. Mit ihm radikalisierten sich nicht nur die georgischen Bemühungen um Loslösung aus der Sowjetunion. Vielmehr begegnete die neue georgische Führung den allenthalben eskalierenden Nationalitätenkonflikten im Lande mit kompromißloser Härte - nicht allein, weil sie einen unitären Staat auf dem Territorium Georgiens anstrebte, sondern auch, da sie hinter den Autonomie- und Sezessionsbestrebungen in Abchasien und Südossetien einen aus Moskau gesteuerten Anschlag auf die georgische Integrität und die angestrebte eigene Unabhängigkeit vermutete. So verstärkten sich die Repressionen gegen die Bevölkerung Südossetiens. Den Mes'cheten, ein stark georgisch assimiliertes Turkvolk, das unter Stalin in andere Regionen der UdSSR umgesiedelt worden war, wurde verweigert, in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete nach Mes'chetien und in das im Süden Georgiens gelegene Dschawachetien zurückzukehren; dagestanische Awaren wurden ebenso wie russische Duchoboren in beträchtlicher Zahl aus dem Land gedrängt.

Auf abchasischer Seite stieg nur wenige Wochen später, im Dezember 1990, Wladislaw Ardsinba, Geschichtsprofessor und Deputierter des Obersten Sowjet der UdSSR, mit seiner Wahl zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets Abchasiens zum herausragenden Führer der abchasischen Nationalbewegung auf. Auch er hatte bis dahin kaum erkennen lassen, daß ihm viel an einer einvernehmlichen Regelung mit Georgien gelegen sein könnte. Vielmehr hatte gerade er sich schon früh in Moskau um eine einseitige Lösung Abchasiens aus dem georgischen Staatsverband bemüht. Es kann daher nicht verwundern, daß er eine bevorzugte Zielscheibe georgischer Klagen über den „abchasischen Separatismus" darstellte. Gleichwohl rissen auch in diesen Monaten die Fäden zwischen Tiflis und Suchum nicht völlig ab, wie insbesondere die von Georgien veranlaßte Ausarbeitung eines neuen abchasischen Wahlgesetzes dokumentierte. Dabei beschlossen beide Seiten einvernehmlich, daß das bis zum Oktober 1991 neu zu wählende Parlament Abchasiens nach nationalen Quoten zusammengesetzt sein sollte. Vorgesehen waren 28 Sitze für die abchasische Bevölkerungsgruppe, 26 Sitze für die Georgier und elf Sitze für die Vertreter anderer ethnischer Gruppen wie Russen, Griechen oder Armenier. Auf diese Weise besaß die „abchasische Fraktion", mit der gewöhnlich die Mehrheit der nicht-georgischen Deputierten stimmte, zwar die einfache Mehrheit. Beide Seiten verfügten jedoch über eine Sperrminorität, da zugleich festgelegt wurde, daß alle „wichtigen Gesetze" nur mit einer verfassungsändernden Zweidrittel-Mehrheit verabschiedet werden konnten. Zweifellos stellte die Quotierung nach nationalen Kriterien eine weitere - und alles andere als selbstverständliche - Konzession an die abchasischen Wünsche dar und wurde daher sowohl von der georgischen Bevölkerungsgruppe in Abchasien als auch von der georgischen Führung in Tiflis erst nach einigem Zögern und als befristete Regelung akzeptiert, um die politische Lage zu stabilisieren. Zwar konnten die Parlamentswahlen trotz prozeduraler Querelen in insgesamt drei Durchgängen am 29. September, 13. Oktober und 1. Dezember 1991 durchgeführt werden. Doch dadurch, daß sie zeitlich mit den ersten bewaffneten Zusammenstößen zwischen der Regierung Gamsachurdia und Anhängern der georgischen Opposition zusammenfielen, standen sie unter keinem guten Stern. Schon kurz nach der Konstituierung des neuen Parlaments zeigte sich, daß die komplizierten Quoten- und Abstimmungsregeln weder die Arbeitsfähigkeit der Volksvertretung noch einen Ausgleich zwischen den divergierenden Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Abchasien sicherstellen konnten. Von Beginn an sah sich die „georgische Fraktion" majorisiert und unter Druck gesetzt und verweigerte aus diesem Grund ihre - prinzipiell erforderliche - Zustimmung zu zahlreichen Gesetzesvorhaben. Es gelang dem Parlament daher kaum, Beschlüsse zu fassen, für die eine qualifizierte Mehrheit erforderlich gewesen wäre, so daß die übrigen Fraktionen sich im Regelfall mit einfacher Mehrheit durchsetzten und ihren Beschlüssen eine „vorläufige" (aber nicht minder verbindliche) Geltung verschafften. So ordnete etwa das Parlament die Schaffung einer rein abchasischen Nationalgarde an; auch wurde eine überproportional große Zahl von Leitungspositionen in der Republik von den Abchasiern beansprucht, was von den georgischen Deputierten als neuerlicher Beweis für eine abchasische Ethnokratie und die Unterdrückung der Mehrheit durch die Minderheit angesehen wurde. „Wenn wir auf unserem Boden nicht größeren Einfluß als die Georgier haben," widersprachen die Abchasier, „wird Abchasien bald nicht mehr von Georgien zu unterscheiden sein."(31)

Bis Juni 1992 sahen sich die georgischen Abgeordneten in ihrem Einfluß so weit zurückgedrängt, daß sie drohten, die Mitarbeit im Parlament einzustellen und wenig später zu Neuwahlen auf der Grundlage eines veränderten „demokratischen" Wahlrechts aufriefen. Prinzipiell war die georgische Forderung völlig berechtigt, zu einem normalen demokratischen Verfahren zurückzukehren, bei dem die Stimme eines jeden Wählers gleiches Gewicht hat. Andererseits waren die Sorgen der Abchasier nicht von der Hand zu weisen, daß sie in einem solchen Fall kaum über Garantien zum Schutz ihrer nationalen Rechte verfügen würden. Um beiden Prinzipien angemessen Geltung zu verschaffen, war bereits im Jahre 1990 eine alternative Variante diskutiert worden: ein Zweikammerparlament, bei dem eine Kammer aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehen und die zweite Kammer der Nationalitäten sich aus jeweils der gleichen Zahl von Deputierten zusammensetzen sollte, die innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Abchasien unabhängig von deren Stärke zu wählen gewesen wären.(32) Damals war diese Idee von der georgischen Seite abgelehnt worden, während das oben erwähnte Wahlgesetz die Zustimmung des Parlaments in Tiflis gefunden hatte. Als den Georgiern nach einigen Monaten die Konsequenzen deutlich wurden, diente das Quotenprinzip der georgischen Fraktion als Anlaß, die Auflösung des abchasischen Parlaments zu betreiben. Das neue Wahlrecht trug folglich nicht wie beabsichtigt zur Stabilisierung, sondern vielmehr zu einer weiteren Verschärfung der Lage bei.

3 Territorium und Sprache: Konstitutive Elemente der abchasischen Nationalbewegung

Die Genese der abchasischen Nationalbewegung ist ebenso wenig wie die der georgischen Nationalbewegung von den spezifischen historischen, territorialen und staatsrechtlichen Bedingungen in Georgien Ende der 80er Jahre zu trennen. Im Gegensatz zu Unionsrepubliken, die auf ihrem Gebiet keine Autonomen Gebiete hatten, stießen georgische Nationalisten nicht nur auf das Problem der Beziehungen zur so genannten russischsprachigen Bevölkerung, sondern auch auf das Problem der Beziehung zu einer ganzen Nation, die ihr eigenes Staatsgebilde, nämlich die Abchasische Autonome Republik innerhalb der Georgischen Sozialistischen Unionsrepublik hatte. Das nationale Selbstbewusstsein der Abchasier war indessen nicht weniger entwickelt, als das der Georgier. Dies wurde dadurch zugespitzt, daß die Abchasier seit langem für ihren Widerstand gegen die georgische Assimilationspolitik bekannt waren. Doch zeigte die erste abchasische Reaktion auf die „spontanen", von georgischen Nationalisten auf dem Territorium Abchasiens durchgeführten Kundgebungen, daß in Abchasien eine neue Generation herangewachsen war, die ebenso wie ihre Väter und Großväter den Status dieser Region in Frage stellte. Wie bereits erwähnt, wurde der Status und die rechtliche Zugehörigkeit zu Georgien zu einem der wichtigsten Themen. Da der Begriff des nationalen Territoriums einen integralen Bestandteil des Begriffs der Nation darstellt, sahen sich georgische Nationalisten in Abchasien vor die Notwendigkeit gestellt, „historische Rechte" der Georgier auf dieses Territorium zu beweisen. In diesem Zusammenhang trat neben zahlreiche Losungen wie etwa „Georgien den Georgiern" auch die Parole „Abchasien ist Georgien". Gerade davon ging der damalige Führer der georgischen Nationalbewegung, Swiad Gamsachurdia, aus, der Georgien „das gemeinsame Haus" der Georgier und der Abchasier nannte. Jene Abchasier, die an „Blut und Erde" glaubten, setzten ihrerseits die Parole „Abchasien den Abchasiern" dagegen. Das Motto „Abchasien den Abchasiern" wurde von der abchasischen Nationalbewegung nie vorgebracht, wahrscheinlich angesichts der bestehenden historischen Situation, durch welche die Abchasier in ihrem Heimatland zur nationalen Minderheit geworden waren. Die Abchasier hoben immer hervor, daß sie keine andere Heimat außer Abchasien hätten und daß sie gemeinsam mit allen in Abchasien wohnenden Völkern zum Kampf gegen den georgischen Nationalismus bereit seien. Trotz ihrer geringen Anzahl erlitten die Abchasier in den zahlreichen in Abchasien durchgeführten Meinungsumfragen und Wahlen keine Niederlage, vor allem dank der Unterstützung der nichtgeorgischen Bevölkerung in der Autonomen Republik Abchasien, da jene durch den Aufstieg des georgischen Nationalismus selbst beunruhigt war. Praktisch alle Abchasien bewohnenden Völker bauten eigene Organisationen und Vereinigungen auf. Offiziell wurde ein Bündnis von Abchasiern und Vertretern der nichtgeorgischen Bevölkerung im Juni 1992, also einen Monat vor dem Kriegsausbruch gegründet. Man vereinigte sich sowohl auf Parlamentsebene als auch auf der Ebene politischer Bewegungen und Organisationen. Dazu gehörten die abchasische Organisation „Aidgylara", die russische Organisation „Slawisches Haus", die armenische „Krunk", das griechische Kulturzentrum und die ossetische Vereinigung „Alan". Einige dieser Organisationen bildeten während des Krieges 1992-1993 eigene bewaffnete Verbände innerhalb der abchasischen Armee. Beispielsweise sollte das armenische Bagramjan-Bataillon während des Krieges später als eine der kampffähigsten Einheiten der abchasischen Armee gelten..

Ungeachtet dieser Vielzahl an Organisationen entstand im Gegensatz zu den anderen Sowjetrepubliken in Georgien keine am Erhalt der UdSSR orientierte Interfront, wie sie sich in anderen Sowjetrepubliken als Reaktion auf die Emanzipationsbestrebungen der jeweiligen Nationalbewegungen gebildet hatten. Auch gelang es nicht, die nichtgeorgische Bevölkerung in Tiflis zu vereinen. Die Tätigkeit einzelner nationaler Vereinigungen und Bewegungen hatte keinen bedeutenden Einfluß auf die politischen Vorgänge in Georgien. Lediglich die Aktivitäten nationaler nichtgeorgischer Organisationen in den kompakten Siedlungsgebieten der Armenier, Aserbaidschaner und Griechen, der übrigen nationalen Minderheiten Abchasiens, verstärkten die ethnopolitischen Spannungen zwischen Georgien und Abchasien. Daraus schlug die abchasische Seite Kapital, weil der nichtgeorgische Bevölkerungsteil der Autonomen Republik die Forderungen abchasischer Nationalisten für weniger radikal hielt als die Losungen der georgischen Nationalisten.

Über ein Jahrzehnt nach den Unruhen von 1978 in Tiflis, als über Tausend Studenten und Hochschullehrer gegen die Abschaffung des Georgischen als Staatssprache protestiert hatten und es infolgedessen dem damaligen georgischen Parteichef Eduard Schewardnadse gelungen war, die Moskauer KP-Führung um Generalsekretär Breschnew von ihren Russifizierungsplänen des staatlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens im Kaukasus abzuhalten, gewann die Sprachenfrage nun erneut an Bedeutung.(33) Streitpunkt war der Status des Georgischen auf dem Territorium Georgiens und der Status der Sprachen der nationalen Minderheiten, insbesondere des Abchasischen. Diese Auseinandersetzungen berührten auch die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung, da es um die Frage ging, welche Sprache als Amtssprache für die gesamte Bevölkerung Abchasiens dienen sollte. Amtliche Entwürfe zur Förderung der abchasischen und der georgischen Sprachen stimmten sowohl in ihrer ideologischen Begründung als auch in ihrer Form in vieler Hinsicht überein. Beide Seiten zeigten sich über die geringe Bedeutung der eigenen Sprache im öffentlichen Leben beunruhigt. Die Abchasier nahmen das Sprachproblem zum Anlaß, die Einführung von abchasischen Ortsnamen und muttersprachigen Unterricht in allen Schulen und allen Fächern zu fordern, wovon lediglich die technischen Fächer ausgenommen sein sollten. Sie wandten sich gegen das obligatorische georgischsprachige Studium für Nichtgeorgier, was laut Punkt 10 des Staatsprogramms zur Förderung georgischer Literatur in Abchasien eingeführt werden sollte. Sowohl das offizielle Tiflis als auch die führenden Vertreter der georgischen Nationalbewegung Georgiens protestierten gegen die von abchasischen Gelehrten ausgearbeiteten Schulprogramme und Vorlesungsreihen zur Geschichte Abchasiens. Ihre wesentlichen Gegenargumente waren in einem von Surab Tschawtschawadse, dem Leiter der „Ilija Tschawtschawadse-Gesellschaft" sowie von den Vertretern der regionalen Abteilung dieser georgischen Gesellschaft aus Abchasien unterschriebenen Brief genannt. 1989 wandten sich Mitglieder einiger informeller Vereinigungen an die Regierung der Republik Georgien, die deren Forderungen als „Stimme des Volkes" darstellte. In diesem Brief hieß es: „Wir treten nicht gegen den erweiterten abchasischen Geschichtsunterricht auf, aber Abchasien ist in historischer, territorialer und politischer Hinsicht ein untrennbarer Bestandteil Georgiens. Die abchasische und die georgische Geschichte aufzuspalten und sie von diesem Standpunkt aus zu erlernen, wäre nicht zu rechtfertigen. Eine Gegenüberstellung und das einander ausschließende Erlernen unserer gemeinsamen Geschichte wäre ein echtes Verbrechen. Die abchasische Geschichte wird künstlich von der georgischen getrennt, was im Bewußtsein der nichtgeorgischen heranwachsenden Generation von früher Kindheit an antigeorgische Stimmungen hervorrufen wird."(34)

Dieses Schreiben wurde in einer Vollversammlung von Lektoren und Wissenschaftlern der abchasischen Staatsuniversität sowie einiger anderer wissenschaftlichen Institutionen erörtet. Dabei wurde folgende Replik beschlossen: „Seit 1957 wird versucht, eine Vorlesungsreihe über die abchasische Geschichte zu organisieren. (...) Bis zur Gegenwart enthalten georgische Schulbücher keinen Lehrstoff über abchasische Geschichte. (...) Man muß wissen, daß die Abchasier keine Georgier sind, daß es sich um zwei brüderliche Völker handelt, die aber zwei verschiedene Nationalitäten haben, daß Abchasien kein Teilgebiet Georgiens, sondern eine autonome Republik ist und daß man das Aufgehen der abchasischen Geschichte in der georgischen Geschichte nicht zulassen darf."(35) Dieses an die Führungen der Georgischen SSR und der Abchasischen ASSR gerichtete Schreiben wurde nach der Forderung des „Volksforums Abchasiens" (VFA) „Aidgylara" (Einigkeit), der im Grunde genommen einzigen Organisation der abchasischen Nationalbewegung, veröffentlicht. Am 2. Juli 1989 erschien die erste Nummer ihrer gleichnamigen Zeitung mit der überaus bezeichnenden Kopfzeile: „Verteidigen wir die Gemeinschaft der Völker Abchasiens!" Sie wurde in nachfolgenden Heften durch das Motto ersetzt: „Gleiche Rechte für alle Völker!" Die Gründer von „Aidgylara" legten viel Wert darauf, schon im Namen der Organisation ihr territoriales und nichtethnisches Selbstverständnis zum Ausdruck zu bringen.(36) Der Archäologe Sergei Schamba, Vorsitzender des „Aidgylara"-Vorstandes, begründete die Notwendigkeit, das abchasische „Volksforum" zu gründen, damit, daß „die Hoffnungen, die von der Kommunistischen Partei Georgiens iniitierte Kampagne (für die georgische Unabhängigkeit, A.K.) ziele darauf, das von Stalin aufgebaute administrative Kommandosystem zu zerstören, leider vergebens waren. Wenn es tatsächlich um den Abschied vom stalinschen Erbe gehen würde, müßte vor allem die imperiale Grundlage der national-territorialen Struktur der UdSSR revidiert werden. (...) Jetzt ist es klar geworden, daß eine weitere Passivität von uns vor dem Hintergrund der Ereignisse in Georgien unvermeidlich zum Schwund des abchasischen Volkes führen würde.37 Der Zeitung „Aidgylara" zufolge führe die Ungleichheit der Republiken automatisch zur Ungleichheit ihrer Bürger. In diesem Zusammenhang wurde die Aufwertung der Abchasischen ASSR zu einer Unionsrepublik eine der wichtigsten Forderungen des VFA. Seit Beginn seiner Tätigkeit trat das Volksforum Abchasiens für die Modernisierung des Staatsaufbaus der UdSSR ein, der durch ein vierstufiges Organisationsprinzip mit dem Zentrum als der höchsten Ebene, den fünfzehn Unionsrepubliken, zwanzig Autonomen Republiken und schließlich achtzehn Autonomen Gebietskörperschaften (acht Gebiete und zehn Kreise)  gekennzeichnet war. „Wir halten den Staatsaufbau für diskriminierend, weil er zu einer Unterscheidung zwischen den Völkern nach dem Maß ihrer politischen Rechte führt. Das Ergebnis eines solchen hierarchischen Staatsaufbaus ist, daß die Regierungen des dominanten Staatsvolkes die Möglichkeit besitzen, die nationalen Interessen der autochthonen Völker der autonomen Gebietskörperschaften zu beschneiden."(38) Eine erneuerte Föderation wurde als eine Union von gleichberechtigten souveränen Republiken dargestellt, in die Abchasien nach der Wiederherstellung des im Jahre 1931 eingebüßten Status als Unionsrepublik eintreten müsse. Im Unterschied zu den meisten   Volksfronten und National- bewegungen, die in den diversen sowjetischen Unionsrepubliken 1988-1989 als Opposition zu den Machtstrukturen entstanden, unterschieden sich die programmatischen Richtlinien des VFA praktisch nicht von der offiziellen Linie der Partei-und Sowjetführung Abchasiens. Die neue Auslegung des „Föderalismus", die von den Führern des Nationalen Forums vorgebracht wurde, entsprach den Interessen der in Abchasien regierenden Nomenklatura. Diese sah in der Möglichkeit, Tiflis zu umgehen und sich direkt an Moskau zu wenden und alle Privilegien zu genießen, die der Führung einer Unionsrepublik zustehen, einen Vorteil. Selbstverständlich wurden solche Interessen der Partei- und Staatsführung als „nationale Interessen" des abchasischen Volkes dargestellt.  Dabei darf nicht übersehen werden, daß in der Zeit der Auflösung der UdSSR die Idee der nationalen Selbstbestimmung auch konträre Strömungen innerhalb der Gesellschaft vorübergehend integrierte, selbst wenn in der Regel keine konkreten Vorstellungen über Wege und Formen existierten, wie denn diese „nationale Selbstbestimmung" zu erreichen sei. Dieser Befund hat für jene Republiken und autonomen Gebietskörperschaften besondere Gültigkeit, wo die Eliten und Teile der Bevölkerung besonders stark das Gefühl der Entfremdung oder Marginalisierung vom Staat empfanden. Begünstigt wurde diese Haltung von der Überzeugung, daß andere Nationalitäten aufgrund der existierenden national-territorialen Staatsstruktur Privilegien besäßen. Als Moskau seine Fähigkeit einbüßte, die Situation in den Regionen zu kontrollieren und insbesondere nach dem Zerfall der UdSSR, schlossen sich alle nationalen Bewegungen in unterschiedlichem Ausmaß mit den Machtstrukturen der eigenen territorialen Einheit zusammen. Die Existenz örtlicher Machtorgane in Abchasien sicherte der nationalen Bewegung eine wichtige Möglichkeit, eigene Handlungen mit den abchasischen Machtstrukturen zu koordinieren und zu konsolidieren, um gegen gemeinsame Opponenten aufzutreten. Dies gilt in hohem Maße auch für die georgische Nationalbewegung, allerdings mit dem Unterschied, daß die Mehrheit der in Georgien aktiven Parteien und Organisationen gemeinsame Aktionen behinderte. Im Hinblick auf das für die abchasische Nationalbewegung zentrale Problem der staatlichen Selbstbestimmung entwarf das Volksforum Abchasiens eine ganze Reihe von Vorschlägen, die die Selbstbestimmung Abchasiens innerhalb Georgiens vorsahen. Die Hauptideen dieser Vorschläge liefen darauf hinaus, daß die georgische Seite rechtskräftig anerkennen sollte, daß die Georgische SSR eine multinationale Republik sei und daß sie einen föderativen Staatsaufbau habe; daß ein Zweikammerparlament konstituiert werden müsse, um die nationalen Interessen in der Republik auszugleichen, in dem alle Subjekte der Föderation repräsentiert seien und die Regelung aller nationalen Probleme erfolge; daß die Kompetenzen Georgiens und Abchasiens voneinander zu trennen seien, um Abchasien volle Selbstverwaltung zu garantieren und schließlich, daß den Abchasiern als der autochtonen Bevölkerung mindestens 50 Prozent aller Abgeordnetenmandate zustünden, um ihre Interessen in der Nationalitätenkammer verteidigen zu können.(39)

Das Volksforum Abchasiens setzte sich dafür ein, mit der Leitung der „Volksfront Georgiens" einen Dialog zu beginnen. Dieser Dialog sollte auf dem Prinzip der „Koexistenz" basieren, um der Vielfalt beiderseitiger Interessen Rechnung zu tragen. In Georgien bestanden hingegen sogar unter demokratisch orientierten Vertretern der nationalen Bewegung Befürchtungen, daß die Einführung des Föderalismus letzten Endes zum Zerfall des Landes führen könnte. Die offiziellen Machthaber fuhren auch nach dem Sturz Gamsachurdias eine Weile lang fort, sich für einen Einheitsstaat Georgien einzusetzen, in dem es die Autonomen Gebiete und Republiken Abchasien, die Adscharische Autonome Republik und Südossetien nicht mehr geben sollte.(40) Trotz anders lautender Erklärungen von Präsident Eduard Schewardnadse zur Gründung einer Föderation fehlen bis heute entsprechende Bestimmungen in der Georgischen Verfassung, die die Schaffung einer Föderation ermöglichen würden.

Die Haltung beider Seiten ging also in den Fragen der Wiederherstellung bzw. der Herstellung der nationalstaatlichen Unabhängigkeit Georgiens und Abchasiens wesentlich auseinander. Im Rahmen „des antikolonialen Kampfes" - sei es aus georgischer Perspektive gegen das Zentrum Moskau oder aus abchasischer Perspektive gegen „das kleinere Reich" - ließen sich wenigstens konkrete Probleme der nationalen Minderheiten und Autonomien behandeln. Doch ungeachtet einzelner Versuche, Meinungen und Vorschläge miteinander auszutauschen, zeugten extreme Ansichten, Einschätzun- gen und Forderungen der Vertreter dieser nationalen Bewegungen davon , daß sie eher bereit waren, den Konflikt zu verschärfen als ihn beizulegen. Besonders deutlich kam dies während des Referendums vom 17. März 1991 über den Erhalt der Union zum Ausdruck, als mehr als 50 Prozent der Einwohner Abchasiens für den Fortbestand der Union stimmten. Das bot der Autonomen Republik formal die juristische Möglichkeit, im Falle eines Austritts Georgiens aus der Union, Teil der UdSSR zu bleiben. Welche Einstellung das Nationale Forum Abchasiens zu dieser Frage vertrat, machen die Worte des Rechtsanwalts Surab Atschba, des stellvertretenden Vorsitzenden des VFA deutlich: „Wir sind eigentlich gegen die Durchführung des Referendums. Uns ist bewußt, daß es vom Zentrum organisiert worden ist, um Absolution für frühere Fehler und damit volle Handlungsfreiheit für heute zu erhalten. Wir haben aber keine Alternative. Wir wissen, daß uns außerhalb dieses Landes (der UdSSR; A.K.) noch schlimmere Zeiten erwarten. Wir glauben nicht an ein unabhängiges und freies Georgien. Georgien wird vielleicht unabhängig sein, aber frei wird es doch nie. Für die Georgier wird es zu einem großen Unglück, doch für uns und für andere nichtgeorgische Völker kann eine katastrophale Wendung eintreten."(41) Folglich setzten die Abchasier alle ihre Hoffnungen auf die Errichtung einer erneuerten Union.(42)

4 Die politische Mobilisierung der georgischen und abchasischen Nationalbewegungen

Was einen eventuellen Austritt Georgiens aus der UdSSR anbetraf, so bestritten die Abchasier den Georgiern keineswegs das Recht auf Selbstbestimmung, wenn auch mit dem Vorbehalt, daß dies nur innerhalb des nationalen Territoriums Georgiens, das heißt außerhalb Abchasiens, gelte. Die Abchasier waren bestrebt, auf ihrem nationalen Territorium, dessen Grenzen durch die administrativen Grenzen der Abchasischen ASSR festgelegt waren, die eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln, aber, wie von allen Führern der Nationalbewegung betont wurde, gemeinsam mit allen in Abchasien lebenden Völkern. Die Stärkung des nationalen Selbstbewußtseins der Abchasier bereitete im größten Teil des abchasischen Territoriums keine besonderen Probleme für die neuen Führer der abchasischen Nationalbewegung. Nahezu alle Abchasier fühlten sich ethnisch der abchasischen Nation zugehörig. Die Frage,  inwieweit die eine oder andere Familie die Muttersprache beherrschte, spielte keine Rolle. Man mußte sich nur an die abchasischen Traditionen und den Sittenkodex „apsuara" halten.(43) Es war nicht obligatorisch, einer politischen Partei  anzugehören und an Versammlungen teilzunehmen. Die nationale Bewegung wurde bis zu den ersten blutigen Auseinandersetzungen im Jahre 1989 im großen und ganzen von den Ältesten kontrolliert. In einer Zusammenkunft, an der Vertreter aus ganz Abchasien teilnahmen, konnten die Ältesten sogar über das Schicksal der Leitung der Autonomen Republik entscheiden - so etwa im Jahre 1978, als der damalige Parteichef Abchasiens abgelöst und durch einen von den abchasischen Ältesten unterstützten Kandidaten ersetzt wurde. Anders war es um die Bevölkerung des an Georgien grenzenden Landkreises Gali bestellt, welche von der mingrelischen Kultur stark beeinflußt wurde, die der abchasischen sehr nahe steht. In diesem historischen Gebiet Abchasiens, das von den Abchasiern Samursakan genannt wurde, gab es bis Anfang 1989 praktisch keine nationalen Spannungen. Die in den wenigen abchasischen Dörfern des Landkreises Gali wohnenden Abchasier beherrschen sowohl die abchasische als auch die mingrelische Sprache. Die Führer der abchasischen nationalen Bewegung schlugen mehrmals vor, durch breite politische Aufklärung „das nationale Bewußtsein der Abchasier von Samursakan zu wecken". Doch dies zeitigte wenig Erfolg, da der größte Teil der Bevölkerung sich hinter Swiad Gamsachurdia, den ersten Präsidenten Georgiens - seines Zeichens gebürtiger Mingrelier - und seine Politik stellte.(44)

Dabei spielten Befürchtungen der Einwohner des Landkreises Gali angesichts des sich bildenden Bündnisses der Abchasier mit den kaukasischen Bergvölkern eine große Rolle. In dem Bündnis mit den „Andersgläubigen" sahen sie eine Gefährdung des „christlichen Georgiens".(45) Repräsentativ ist in diesem Zusammenhang der Aufruf W. Kezbajas, eines Einwohners von Gali an die Abchasier: „Ich wende mich an sie als Christ an andere Christen. Die einheitliche christliche Religion ist für uns das Wichtigste... Gott sei Dank gibt es unter Abchasiern keine Muslime mehr. Und jetzt möchtet ihr euch, meine Abchasier und Brüder, vom christlichen Georgien trennen und sucht nach der Annäherung mit fremden muslimischen Völkern, mit der aggressiven muslimischen Welt."(46) Der Versuch, alle ethnischen Gruppen der georgischen Nation unter der Flagge der Religion und des Kampfes gegen die „Träger des Turkselbstbewußtseins" zu vereinen, brachte nahezu alle georgischen Nationalisten einander näher.(47) Die von der „Ilija Tschawtschawadse Gesellschaft" vertretene Devise „Vaterland, Sprache, Glauben", ergänzt durch das Motto „Einigkeit", war in den Programmrichtlinien aller georgischen nationalen Bewegungen enthalten. Dennoch behaupten georgische Zeithistoriker wohl zurecht, daß die Nationalitätenkonflikte in Georgien vermeidbar gewesen wären, wenn im georgischen Volk tatsächlich Einigkeit bestanden hätte. Der härteste Konflikt entbrannte ausgerechnet innerhalb der georgischen Nation - der Konflikt um die Form und den Charakter der georgischen nationalen Wiedergeburt. Sehr bald jedoch wurde dieses Ziel von georgischen Nationalisten in den Hintergrund gedrängt. Jeder Führer schien vor allen Dingen bestrebt, sich an die Spitze der Nation in ihrem Kampf für die Freiheit und die Unabhängigkeit gegen zahlreiche Gegner zu stellen. Wie so häufig in der Geschichte konnte die Auseinandersetzung mit „ausländischen Sündenböcken", in diesem Fall mit den Osseten und Abchasiern, nur für einige Zeit die inneren Zerwürfnisse kaschieren. Ein Beispiel für die ernsthaften Spannungen unter den Georgiern stellen Auseinandersetzungen in Adscharien dar, die durch die Evakierung von durch eine Naturkatastrophe obdachlos gewordenen Betroffenen in die ungefährdete Ebene Georgiens ausgelöst wurden.(48) Prompt spalteten sich die Georgier in „Bergbewohner" und „Bewohner des flachen Adschariens".

In einer „Deklaration zur nationalen Einheit und Freiheit" der georgischen Rustaweli-Gesellschaft, einer Invalidenor- ganisation hieß es: „So wie andere für ihre Freiheit kämpfende Völker glaubt das georgische Volk von alters her an sein messianisches Potential und muß dieses schwere Kreuz auf sich nehmen."(49) Als erste versuchte die damals regierende Kommunistische Partei Georgiens, „dieses Kreuz auf sich zu nehmen." In einem von ihr ausgearbeiteten Konzept zur nationalen Entwicklung hieß es, daß die nichtgeorgische Bevölkerung die legitimen Interessen der Titularnation mit gebührender Achtung akzeptieren und ihre Sprache, Kultur, Traditionen, nationale Werte respektieren solle... „Jedes Amt, jede Organisation, jede Struktur, Kommunisten und Parteilose... sollen sich in den Dienst der Nation stellen. Jeder ihrer Schritte wird auf seinen Nutzen für die Nation überprüft."(50) Auf dem Territorium Abchasiens spielten außer der Kommunistischen Partei auch die bereits erwähnten georgischen informellen Organisationen wie die „Ilija Tschawtschawadse-Gesellschaft" und die georgische „Rustaweli-Gesellschaft" eine wichtige Rolle. Die Zusammensetzung regionaler Abteilungen dieser Gesellschaften entsprach der Zusammensetzung der abchasischen Nationalorganisationen. Während eine Reihe von Partei -, Sowjet- und Wirtschaftsleitern aus der "zweiten Reihe" sich engagierten, zogen prominente Funktionäre, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen, es dagegen vor, bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht aktiv teilzunehmen. Dagegen legten Lehrer, Lektoren, Angestellte, Schüler und Studenten besondere Aktivitäten in der Organisation zivilen Ungehorsams an den Tag. Ein wichtiger Unterschied zwischen diesen Organisationen und dem Volksforum Abchasiens bestand darin, daß ehemalige sowjetische Dissidenten aus Georgien in den Führungsgremien der abchasischen Nationalbewegung teilnahmen. Sie beteiligten sich an der Organisation von Demonstrationen oder Kundgebungen. Die Haltung dieser Organisationen zur nationalen Frage war durch den Ethnonationalismus geprägt. Diese Art des Nationalismus faßt Nation als eine ethnokulturelle Einheit auf, schließt also andere ethnische Gruppen in dem Gebiet oder auf dem staatlichen Territorium, in dem die Angehörigen der Ethnonation leben, aus der Zugehörigkeit zur Nation aus im Unterschied zum staatlichen und rechtlichen Begriff der Nation, der alle Bürger eines vorhandenen (oder auch erst zu schaffenden) Staates als Angehörige einer Nation begreift. Wenn der Ethnonationalismus über den Rahmen der kulturellen Tätigkeit hinausgeht und zu einem politischen Programm wird, "dient er schon für ethnische Unternehmer (51) als ein Mittel, das ihnen den Zugang zur Macht und zu Ressourcen  gewährleistet. Er unterdrückt Partikularinteressen und bedingt Versuche, das Prinzip der ethnischen Staatlichkeit durch die Machtusurpation von Seiten der Vertreter einer Gruppe, durch die Unterdrückung von Minderheiten oder durch Sezession und Errichtung einer neuen „nationalen" (ethnischen) Staatlichkeit, zu verwirklichen."(52) Ethnonationalisten sehen den vorhandenen oder zu erringenden Staat als Eigentum ihrer ethnisch definierten Nation an, die dem Staat ihren Namen gibt. Sie wird deshalb auch Titularnation genannt. Aus diesem Denken resultieren häufig Privilegien der Ethnonation gegenüber anderen Staatsbürgern, wenn nicht gar eine massive Diskriminierung der Bürger anderer   Ethnizität.

Die „Iljia Tschawtschawadse-Gesellschaft" verfocht die Idee einer „differenzierten" Politik gegenüber den nichtgeorgischen Nationalitäten.(53) Im Unterschied zu den Bewohnern Südossetiens, so die Ausführungen führender Repräsentanten der Gesellschaft, seien die Abchasier wie die Georgier zwar als eine autochthone Bevölkerung anzuerkennen und genössen damit das Recht auf „volle kulturelle Autonomie". Dies schließe aber keinesfalls das Recht auf Loslösung aus Georgien ein, denn in diesem Fall „würden Rechte der georgischen Stammbevölkerung geschmälert." Den Osseten sei als „Gästen der Georgier" das Recht auf breite kulturelle Autonomie garantiert.(54) Russen, Armeniern und Aserbaidschanern sollten derartige Rechte nicht eingeräumt werden. „Die Angehörigen der Völker der angrenzenden Republiken ... können für sich selbst sorgen und auf Wunsch in ihre Heimat zurückkehren. Davon ausgenommen bleiben jene, welche sich die georgische Kultur angeeignet haben, unsere Sprache und unsere Traditionen achten und sich als echte Patrioten Georgiens erweisen."(55) Eine Reihe von Faktoren trug zur Stärkung des Zusammenhalts unter den nationalen Minderheiten in Georgien bei. Gefördert wurde er nicht zuletzt durch die erwähnten Vorstellungen, die Menschen eines Landes in „Gäste" und „Gastgeber" trennen. Äußerungen führender Repräsentanten der informellen georgischen Organisationen, die nicht nur alle Formen von Autonomie abzuschaffen vorschlugen und Georgisch zur einzig anerkannten Amtssprache machen wollten, sondern auch die anderen Völker Georgien aufforderten, das  georgische Territorium zu verlassen und dabei die „besondere Mission" des christlichen Georgiens als Vorposten der europäischen Zivilisation im „feindselig" gesinnten Osten betonten, taten ein übriges. Schließlich führten Bemühungen,  eine Bevölkerungspolitik durchzuführen, die der georgischen Bevölkerung in allen Regionen eine stabile Mehrheit garantieren sollte, zur Vereinigung der nationalen Minderheiten. Die Basis dafür war gemeinsame Angst, was wiederum interethnischen Spannungen Auftrieb gab. Auch mit viel Wohlwollen fällt es schwer, in einer solchen Haltung nur vereinzelte „Fehler" und „Irrtümer" zu sehen, wie dies die Moskauer Ethnologin Swetlana Tscherwonnaja zu erkennen glaubt. Nach dieser Lesart seien diese „Fehler" von „reaktionären Kräften, welche an der Vernichtung der demokratischen Bewegung in Georgien interessiert sind," geschickt ausgenutzt worden.(56) Als im abchasischen Landkreis Gali konkurrierende Nationalismen aufeinanderprallten, die jeweils den Anspruch auf dieselben Menschen als Repräsentanten ausgerechnet ihrer Nationalität erhoben, begründete ausschließlich ihre politische Ausrichtung die Teilung der Bevölkerung nach ihrem nationalen Selbstbewußtsein. In der Regel waren die Mingrelier „Swiadisten", das heißt Anhänger von Swiad Gamsachurdia. Während des Bürgerkriegs in Mingrelien, der zwischen den Truppen des Staatsrates und den Anhängern Swiad Gamsachurdias ausgetragen wurde, begann man die Mingrelier als ein Volk anzusehen, dessen nationales Bewußtsein noch nicht erwacht war. Und nach der Niederlage der georgischen Armee in Abchasien im Jahre 1993 nannte sie Eduard Schewardnadse „Verräter der Nation", indem er ihnen aktive Unterstützung der „abchasischen Separatisten" zur Last legte. Die nationale Identität der in Abchasien wohnenden Georgier wurde im Laufe der nationalen Renaissance dreimal zum Gegenstand der Politik der georgischen Nationalbewegung. Dabei ging es durchaus um konkrete, realpolitische Anliegen. Von 1988-1991 stand der Kampf um den Austritt aus der UdSSR und die Errichtung eines unabhängigen souveränen Georgiens im Vordergrund. Danach rückte der Kampf des georgischen Staatsrates gegen die „Swiadisten" und letzten Endes der Krieg um die territoriale Intergrität Georgiens in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In der ersten Phase fungierte die Idee „der staatlichen Unabhängigkeit der Nation" als primärer integrativer Faktor, der die georgischen Nationalisten in Abchasien mit einschloß.(57) Zu diesem Zeitpunkt gab es in Abchasien noch keine Spaltung in Anhänger und Gegner von Swiad Gamsachurdia. Die Existenz der UdSSR als wichtigster Gegner der georgischen Nationalisten prägte ihre Einstellung zu den Nationalitätenkonflikten innerhalb Georgiens. In den abchasischen und ossetischen Nationalbewegungen sahen georgische Nationalisten „Separatisten" oder gar „Terroristen, welche von den reaktionären Kräften Moskaus als Marionetten in ihrem Kampf gegen die Idee der  georgischen Staatlichkeit ausgenutzt werden."(58)

Alle in Abchasien aktiven Parteien und gesellschaftspolitischen Bewegungen befaßten sich mit dem Problem der interethnischen Beziehungen. Jede bemühte sich, einen eigenen Weg zum gemeinsamen Ziel der politischen und ökonomischen Unabhängigkeit ihrer „Heimat", einzuschlagen. Ihre Differenzen lagen allein darin, daß sich jede Seite „die Heimat" auf eigene Art und Weise vorstellte: Für die Abchasier war es Abchasien, für die Georgier „das einheitliche und unteilbare Georgien". Um die ethnischen Grenzen zwischen Abchasiern und Georgiern zu überwinden, versuchte eine Reihe abchasischer und georgischer Intellektueller, wissenschaftliche Gesellschaften mit kulturellen und aufklärerischen Zielen aufzubauen. So wurde in Georgien 1990 die „Georgi Scherwaschidse-Gesellschaft" gegründet, die sich „die professionelle Erforschung historischer Fakten" sowie den Aufbau „enger Verbindungen zu gesellschaftspolitischen Organisationen und Gruppen zur gemeinsamen Regelung der interethnischen Beziehungen in der Republik" zum Ziel gesetzt hatte. Streitfragen sollten in enger Zusammenarbeit mit abchasischen Berufskollegen gelöst werden.(59) Solchen Gesellschaften, die auch in Abchasien existierten, gelang es jedoch nicht, einen echten Dialog aufzubauen, der über die gegenseitige Versicherung, „einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Kultur geleistet zu haben," hinausgegangen wäre. Sie konnten die „ethnisch geprägte Sicht" der Geschichte und Gegenwart nicht überwinden und waren bald gezwungen, ein Bündnis mit den gesellschaftspolitischen Organisationen der eigenen Nationalität einzugehen. Zur selben Zeit vollzog sich der Konsolidierungsprozeß aller Strömungen der nationalen Befreiungsbewegung Georgiens zum Kampf für „die Wiederherstellung der staatlichen Unabhängigkeit der Nation." Am 13./14. März 1990 fand in Tiflis eine außerordentliche Konferenz der nationalen Bewegung statt, auf der das „Nationale Forum" gegründet wurde. Im „Appell des Nationalen Forums Georgiens an die georgische Nation und an die Weltöffentlichkeit" hieß es zu den Autonomen Republiken innerhalb der Georgischen Sowjetrepublik: „Die nationale Befreiungsbewegung Georgiens und ihre Vorhut, das Nationale Forum, erkennen die von der russischen Metropole gegen den Wunsch und Willen des georgischen Volkes gegründete sogenannte Georgische Sozialistische Sowjetrepublik und die in sie eingegliederten Autonomen Gebietskörperschaften wie Südossetien, Abchasien und Adscharien nicht an. Sie sind fiktive, antinationale, administrativ-politische Gebilde, die als unmittelbare Ergebnisse einer Annexion entstanden."(60) Das künftige Schicksal der Autonomen Gebietskörperschaften wurde nicht erwähnt, aber es lag auf der Hand, daß es um den Aufbau eines unitaristischen Staates ging. Dem „Nationalen Forum Georgiens" gehörte eine „Demographische Kommission" an, deren Aufgabe es war, den demographischen Zuwachs der nichtgeorgischen Bevölkerung in Georgien, die den „lebenswichtigen Interessen des georgischen Volkes zuwiderlief", zu stoppen sowie das demographische Gleichgewicht wiederherzustellen, das künstlich zu Ungunsten des georgischen Volkes aufgehoben worden sei.(61)

Das „Nationale Forum" wurde zu einem provisorischen Leitungs- und Koordinierungsorgan der nationalen Bewegung erklärt und sollte die Durchführung einer allgemeinen und geheimen Abstimmung für die Wahl eines nationalen Kongresses vorbereiten, „der zum Interessenvertreter des georgischen Volkes", der „legitimen" Bevölkerung Georgiens berufen werden sollte. Am Ende ihrer Regierungszeit versuchte die Kommunistische Partei Georgiens, die neue Rolle der „nationalen Führung" zu übernehmen, indem sie die Losungen der Nationalisten praktisch in vollem Umfang übernahm. Die Übertragung der Staatsmacht von den Kommunisten auf Swiad Gamsachurdia infolge der Wahlen vom Oktober 1990 im Obersten Sowjet Georgiens wurde von den Abchasiern, die an den Wahlen nicht teilgenommen hatten, nicht als Wechsel der Machtverhältnisse anerkannt, weil sie nach den tragischen Ereignissen vom April 1989 in Tiflis und Juli 1989 in Suchum jede georgische Macht für imperial hielten.(62) Zu dieser Zeit gewann die Konfrontation zwischen einem georgischen und einem nichtgeorgischen Teil des abchasischen Parlaments endgültig an Konturen.(63) Gamsachurdias Machtantritt vertiefte die Spaltung und ließ gleichzeitig die Differenzen zwischen den Fraktionen in Georgien größer werden. Eine Reihe von politischen Vereinigungen, die an den Wahlen zu „einem kolonialen Obersten Sowjet" nicht teilgenommen hatten und die sich im „Nationalen Kongreß" als dem konkurrierenden Machtgremium zusammengeschlossen hatten, stellten sich bald in Opposition zu dem in allgemeinen Wahlen gewählten Staatsoberhaupt. Sie mißbilligten vor allem den diktatorischen Stil Gamsachurdias und seine Pläne zum Aufbau eines demokratischen Nationalstaates in Georgien. Was Abchasien betraf, so feierte die Mehrheit der georgischen  Bevölkerung der Autonomen Republik den Sieg ihres nationalen Führers Gamsachurdia. In Georgien selbst begannen im  Dezember 1990 erste ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern und den Gegnern Gamsachurdias. Die neu geschaffene Nationalgarde wurde zum Bollwerk des Staatsoberhaupts. Alle übrigen bewaffneten Verbände wurden verboten. Die hinter ihnen stehenden georgischen politischen Gruppierungen sahen darin jedoch nicht einen Triumph der Gesetzlichkeit oder die Einfühung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit, sondern die Gefahr einer unbeschränkter Machtkonzentration. Eine solche Zuspitzung aller innenpolitischen und gesellschaftlichen Gegensätze in Georgien konnte in Zeiten der interethnischen Konflikte mit Abchasien nicht folgenlos bleiben. Auf dem Territorium Abchasiens herrschte zu dieser Zeit im Unterschied zu anderen Regionen Georgiens Frieden. Hier wurden Verhandlungen geführt. Gamsachurdias Sieg wurde vom georgischen Bevölkerungsteil der autonomen Republik mit dem Sieg der gesamten georgischen Nationalbewegung gleichgesetzt. In Abchasien übten politische Organisationen Georgiens, die den Kampf gegen das antidemokratische Gamsachurdia-Regime eröffneten, relativ geringen Einfluß aus. Inzwischen begannen in Tiflis erneut Kundgebungen, die zu Zusammenstößen zwischen den Anhängern und den Gegnern Gamsachurdias führten. Bei der gewaltsamen Auflösung einer von der Nationaldemokratischen Partei am 2. September 1991 veranstalteten Kundgebung kam es zu Todesopfern. Georgien begann im Chaos eines Bürgerkriegs zu versinken. Im Januar 1992 gelang es bewaffneten Gruppierungen um Dschaba Josseliani und Tengis Kitowani im Machtkampf in Tiflis, Gamsachurdia zu stürzen und zu vertreiben. Versuchten die Verantwortlichen dies als „national-demokratischen Aufstand gegen das kriminelle Regime" zu rechtfertigen, sprachen internationale Beobachter von einem gewöhnlichen Putsch.(64) Die abchasische Führung bemühte sich darum, jede Einmischung in die Ereignisse von Tiflis zu vermeiden, indem sie sich auf das Recht des georgischen Volkes auf Selbstbestimmung berief. Motiviert war dies davon, daß sich das Parlament der Autonomen Republik.

Abchasien in dieser Zeit intensiv mit der Frage der künftigen Beziehungen beider Republiken auf vertraglicher Grundlage befaßte. Angesichts der politischen Entwicklung war die Erschütterung der georgischen Bevölkerung Abchasiens, die vorwiegend aus Anhängern des gestürzten Präsidenten bestand, so stark, daß später keine georgische nationale Bewegung mehr den Grad an Einigkeit und Unterstützung der georgischen Bevölkerung Abchasiens erreichen konnte, der zu Beginn der georgischen Nationalbewegung existiert hatte. Der Ausgang des Machtkampfs in Tiflis machte den georgischen Nationalisten in Abchasien bewußt, daß das paternalistische Regime, das auf den Mythos der Vaterfigur als „Erretter" der Nation aus dem Joch der sowjetischen imperialen Unfreiheit gesetzt hatte, sein Ende erreicht habe.

5 Die Eskalation des georgisch-abchasischen Konflikts

Neue Hoffnungen auf eine Lösung der andauernden georgisch-abchasischen Auseinandersetzungen keimten auf, als Eduard Schewardnadse im März 1992 anstelle Swiad Gamsachurdias die Macht in Tiflis übernahm. Schewardnadses Bekenntnis zur Demokratie und seine Forderung, alle Auseinandersetzungen der Vergangenheit zu vergessen, weckten in Abchasien die Erwartung, daß Tiflis nun den abchasischen Forderungen aufgeschlossener begegnen würde und Verhandlungen zustimmen könnte.(65) Die beharrliche Weigerung jedoch, sich mit den Kernfragen des abchasischen Problems zu befassen und praktische Vorschläge zu diskutieren, ließen in den folgenden Monaten in Abchasien Zweifel an der Aufrichtigkeit der neuen georgischen Führung aufkommen. Auch wenn die zugespitzten Auseinandersetzungen in Südossetien und die andauernde schwierige innenpolitische Lage die Aufmerksamkeit des neu geschaffenen georgischen Staatsrates nahezu vollständig in Anspruch nahmen, sah sich die abchasische Führung zunehmend in ihrer skeptischen Grundhaltung bestätigt. Erinnert wurde an die Politik von Eduard Schewardnadse als georgischer Parteiführer, an seine Rolle bei der Niederschlagung der abchasischen Demonstrationen von 1978 und daran, daß die versöhnlichen Töne der neuen Führung lediglich einem sehr nahe liegenden und begrenzten Ziel dienten: „Heute rettet uns nur das krampfhafte Bemühen der georgischen Führung, in der Welt politische Anerkennung zu bekommen. Was wird aber morgen, wenn sie diese erhalten haben?"(66)

Außerdem diskutierten die neuen nationalen Führer, die den diktatorisch agierenden Gamsachurdia gestürzt hatten, allen Ernstes die Frage, ob eine Monarchie in Georgien wiedereingeführt werden sollte, um auf diesem Wege die eigene Macht zu legitimieren. Das anfänglich vorhandene, wenn auch begrenzte Vertrauen der Abchasier ging schließlich völlig verloren, als der Staatsrat Georgiens den Versuch unternahm, aus der östlichen Küstenregion Abchasiens eine Zone von 21 km herauszulösen und der Regierung in Tiflis direkt zu unterstellen. Dies geschah mit dem Argument, der Hafen Otschamtschira solle in eine Basis für die zu schaffenden Seestreitkräfte Georgiens umgewandelt werden.(67) In Suchum wurde dies als erneuter Anschlag auf die abchasische Souveränität aufgefaßt. Kernpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Tiflis und Suchum blieb der künftige Status Abchasiens in und außerhalb der Grenzen Georgiens. Nach der Souveränitätserklärung vom August 1990 hatte sich die abchasische Seite mit weiteren Initiativen, die ihren Souveränitätsanspruch untermauern sollten, zurückgehalten, sieht man einmal von der demonstrativen Beteiligung am sowjetischen Unionsreferendum vom 17. März 1991 ab, das in Georgien boykottiert worden war. Die Auflösung der UdSSR erforderte nun jedoch eine Reihe von Veränderungen. Vor allem brach damit die direkte Verbindung zwischen der abchasischen Hauptstadt Suchum und dem Unionszentrum in Moskau ab. Nun wuchs in Abchasien die Befürchtung, daß Georgien versucht sein könnte, die bisherige Autonomie zu beseitigen und lediglich national-kulturelle Minderheitenrechte für das abchasische Volk beizubehalten. Damit begann eine weitere Runde verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen, die im Sommer 1992 eskalierten. Bei elementaren Fragen konnte kein Einvernehmen erzielt werden. So verweigerte etwa die georgische Seite dem Vorschlag der Abchasier ihre Zustimmung, die Abchasische SSR in „Republik Abchasien" umzubenennen. Dies hatte zur Folge, daß Abchasien in offiziellen Dokumenten selbst nach dem Zerfall der UdSSR noch als „Abchasische Autonome Sowjetische Sozialistische Republik" bezeichnet wurde. Dies veranlaßte die politische Führung in Suchum, um Aufnahme in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten nachzusuchen - Georgien war der GUS nicht beigetreten - und bis zum Einmarsch der georgischen Truppen eine eigene Flagge zu hissen. Die georgische Presse nahm dieses Vorgehen zum Anlaß, der abchasischen Führung eine besonders enge Beziehung zu den kommunistischen Idealen der Vergangenheit zu unterstellen.

Eine neue Stufe der Eskalation wurde erreicht, als am 23. Juli 1992 das Parlament Abchasiens mit einfacher Mehrheit eine Entschließung „Über die Aufhebung der Verfassung der Abchasischen ASSR vom Jahre 1978" verabschiedete.(68) Dies geschah mit dem Ziel, „die rechtlich nicht geregelten zwischenstaatlichen Beziehungen Georgiens und Abchasiens zu überwinden." Zugleich wurde bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung jene aus dem Jahre 1925 provisorisch wieder in Kraft gesetzt. In ihr war im Unterschied zum späteren Autonomiestatus die Union zwischen Abchasien und Georgien auf gleichberechtigter Grundlage festgeschrieben worden.(69) Bezeichnenderweise beginnt die damalige Verfassung mit den nach heutigem Verständnis wenig versöhnlichen Worten: „Nachdem wir die staatliche Macht der  ehemaligen georgischen demokratischen Republik gestürzt haben."(70) Auf der gleichen Parlamentssitzung wurden auch die Staatssymbole der Republik festgelegt, ihr Wappen, ihre Flagge und nicht zuletzt ihr neuer offizieller Name „Republik Abchasien". Darüber hinaus wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die einen Entwurf für einen Vertrag zwischen der Republik Abchasien und der Republik Georgien ausarbeiten sollte. Zu einem Merkmal der erneuerten Konfrontation wurde die Spaltung des georgischen Bevölkerungsteils Abchasiens in Anhänger des vertriebenen ehemaligen Präsiden- ten Gamsachurdias und die Anhänger des Staatsrates mit E. Schewardnadse an der Spitze, dem eine demokratische Legitimation fehlte.(71) Konsens herrschte unter den Georgiern lediglich darüber, daß sie an der Unteilbarkeit Georgiens festhielten. Doch die innergeorgische Konfrontation schwächte die kurz zuvor noch homogene georgische Gemeinde in Abchasien erheblich. Gleichzeitig schuf die unverhohlen prorussische Ausrichtung der neuen abchasischen Führung die Voraussetzung dafür, daß der russische Bevölkerungsteil die Abchasier zu unterstützen begann. Die erwähnten Schritte, mit denen das abchasische Parlament die wechselseitige Blockade zu durchbrechen trachtete und dabei die Konfrontation in Kauf nahm, riefen in Tiflis über alle politischen Gräben hinweg einen Sturm der Entrüstung hervor. Wie zu erwarten war, erklärte der Staatsrat Georgiens den Beschluß des abchasischen Parlaments unverzüglich für verfassungswidrig und für ungültig. Dabei machte die georgische Seite unter anderem geltend, daß dieser Beschluß, so Eduard Schewardnadse, „angenommen wurde ohne Berücksichtigung der Meinung der Bevölkerung jenes Staates, in dessen Grenzen Abchasien liegt."(72) Aber auch die Unabhängigkeit Georgiens war verkündet worden ohne Berücksichtigung der Meinung der Bevölkerung der UdSSR ... Und was die Bevölkerung Abchasiens betrifft, so ergab eine Meinungsumfrage, daß mehr als 80 Prozent der Befragten sich für vertragliche Beziehungen zwischen Abchasien und Georgien aussprachen.(73) Dies hinderte die georgische Führung nicht, unter Verweis auf die Entschließung vom 23. Juli post festum den Einfall ihrer Truppen in Abchasien als legitime Maßnahme zur Verteidigung der territorialen Integrität gegen die separatistischen Bestrebungen des abchasischen Parlaments zu rechtfertigen. Bis heute läßt sich nicht eindeutig rekonstruieren, inwieweit diese Beschuldigungen gerechtfertigt waren. Im strengen juristischen Sinne bestand zweifellos „Regelungsbedarf", nachdem bereits am 22. Februar 1992 auch das Parlament Georgiens die Verfassung der Georgischen SSR vom Jahre 1978 annulliert und jene aus dem Jahre 1921 wieder in Kraft gesetzt hatte. Damit war zugleich die rechtliche Grundlage für das abchasische Autonomiestatut hinfällig, das sich auf die Verfassung des Jahres 1978 stützte, während die Verfassung aus dem Jahre 1921 Abchasien überhaupt nicht erwähnte. Sieht man von diesen juristischen Aspekten ab, so ist es weniger fraglich, ob der Beschluß des abchasischen Parlaments tatsächlich einem Austritt aus der Republik gleichkam, wie es von georgischer Seite interpretiert wird. Vielmehr äußerten führende Repräsentanten Abchasiens damals, daß sie einen föderativen Aufbau Georgiens anstrebten, wobei angesichts manch schillernder Erklärung offen bleiben muß, was sie darunter verstanden. So unterstrich etwa der Vorsitzende des Parlaments in Suchum, Wladislaw Ardsinba, Anfang September 1992 in einem Interview mit einer russischen Wochenzeitung: „Abchasien stellte seine Beziehungen mit Georgien immer auf vertragliche Grundlagen. Dies wollen wir lediglich beibehalten und den veränderten Zeiten anpassen... Wir wollen uns nicht von Georgien trennen. Wir streben zwischenstaatliche föderative Beziehungen an."(74) Doch nicht nur zwischen Tiflis und Suchum, auch in Abchasien selbst verschärften sich nach der Resolution vom 23. Juli die Spannungen - ungeachtet der behaupteten breiten Zustimmung zum eingeschlagenen Kurs. So bezeichnete etwa der „Rat der Nationalen Einheit Abchasiens", in dem 19 georgische Organisationen und Bewegungen zusammengeschlossen waren, die Annullierung der Verfassung der Abchasischen ASSR vom Jahre 1978 als „Akt historischer Ungerechtigkeit" und rief zur Gründung alternativer Machtorgane auf.(75) In die gleiche Richtung zielten die georgischen Abgeordneten im abchasischen Parlament, die sich in bester Tradition der doppelbödigen Sowjetsprache „Demokratisches Abchasien" nannten. Sie forderten die Auflösung des Parlaments, den Rücktritt sowohl von Ardsinba als auch des Ministerpräsidenten Wascha Sarandija und die Abhaltung von Neuwahlen. Für den Fall, daß diese Forderungen nicht erfüllt würden, kündigte das „Demokratische Abchasien" die Schaffung paralleler Machtorgane der Legislative und der Exekutive in Abchasien an. Dem trat ein „Komitee zur nationalen Rettung Abchasiens" entgegen, in dem sich als Gegenwicht zahlreiche Organisationen der übrigen Volksgruppen organisierten, darunter die bereits erwähnten Organisationen wie das Nationale Forum Abchasiens „Aidgylara", die „Volkspartei Abchasiens", die „Armenische Kulturgesellschaft Krunk", das „Slawisches Haus" und die ossetische Gesellschaft „Alan" sowie das „Griechische Kulturzentrum".(76) Trotz der wachsenden Spannungen kam es auch in der ersten Hälfte des Jahres 1992 nicht zu direkten Kontakten beider Seiten, um durch Verhandlungen eine Lösung zu erreichen.

Zwar verkündete Wladislaw Ardsinba Anfang Juli seine Bereitschaft, sich zu Gesprächen mit dem Vorsitzenden des georgischen Staatsrates, Eduard Schewardnadse, zu treffen. Dieser wich einer Begegnung jedoch mit dem Hinweis aus, daß man diese „sorgfältig vorbereiten müsse".(77) Und als nach der Schließung des abchasischen Parlaments vom 23. Juli 1992 die Situation immer explosiver wurde, konnten sich nach abchasischen Angaben die beiden Seiten lediglich darauf verständigen, frühestens im Oktober desselben Jahres offizielle Gespräche über die Grundlagen der beiderseitigen Beziehungen aufzunehmen. Dabei war nicht zu übersehen, daß auch die Gefahr einer militärischen Konfrontation immer akuter wurde. Zwar war bereits am 13. Juni 1992 der Verteidigungsminister Georgiens, Tengis Kitowani, in Suchum eingetroffen, mit dem nach abchasischer Darstellung eine Vereinbarung über den unverzüglichen Abzug aller georgischen militärischen Einheiten vom Territorium Abchasiens erreicht werden konnte. Die Vereinbarung betraf vor allem die irregulären Verbände der „Mchedrioni", die von dieser Übereinkunft jedoch keinerlei Notiz nahmen."(78) Dies ist charakteristisch für die bewaffneten Einheiten Georgiens, die sich zu diesem Zeitpunkt einer zentralen Kontrolle durch die Regierung weitgehend entzogen. Sie waren auf jene einflußreichen Männer eingeschwo- ren, die den Sturz Gamsachurdias herbeigeführt hatten und sich mit Hilfe ihrer Söldnertruppen nun vor und hinter den Kulissen die Macht in Tiflis teilten. Von Bedeutung sind dabei zum einen die georgische Nationalgarde, die unmittelbar dem Verteidigungsminister Kitowani unterstellt war, und zum anderen die "Mchedrioni", die sogenannten Ritter. Sie stellen ein trauriges Kapitel des postsozialistischen Georgiens dar, setzten sie sich doch zu einem hohen Anteil aus rechtskräftig Verurteilten und Hasardeuren aller Couleur zusammen. Ihr Kommandeur oder besser: Anführer, dem sie mit Ergebenheit dienten, war Dschaba Josseliani, der wegen Raubes und Totschlags mehrfach rechtskräftig verurteilt worden war. Noch bis zum Beginn der militärischen Aktionen in Abchasien rühmten sich diese Gruppierungen in der Manier veritabler Freischärler ihres Banditentums und ihrer Raubüberfälle auf dem gesamten Territorium Georgiens. Aber auch Abchasien hatte sich 1992 bewaffnete Verbände zweifelhafter Provenienz zugelegt: die „Abchasische Garde". Nach eigenen Angaben zählte sie vor Ausbruch der Kampfhandlungen im August 1992 lediglich einige hundert Personen, was aber offensichtlich untertrieben war. In eben diesen Tagen wurde in der abchasischen Presse der Entwurf eines Vertrages mit Georgien abgedruckt, der von der abchasischen Seite im Sinne des Parlamentsbeschlusses vom 23. Juli ausgearbeitet worden war und sehr viele Ähnlichkeiten mit dem russischen Föderationsvertrag aufwies.(79) Es war vorgesehen, mit den Beratungen der Vorlage auf der Plenarsitzung des abchasischen Parlaments am 14. August zu beginnen, um den Entwurf nach seiner Annahme dem Staatsrat Georgiens als Verhandlungsgrundlage weiterzuleiten. Dazu kam es nicht mehr: In der Nacht vom 13. zum 14. August 1992 überschritten die Truppen des Staatsrates Georgiens mit 5000 Soldaten der Nationalgarde, 53 Panzern, vier Kampfhubschraubern sowie einem Bataillon "Weißer Adler" die Grenze Abchasiens.(80) Damit eskalierte der politische Konflikt zwischen Georgien und Abchasien zu einer offenen militärischen Auseinandersetzung, die erst nach über einem Jahr erbitterter Kämpfe und mehreren gebrochenen Waffenstillstandvereinbarungen ihren -vorläufigen- Abschluß gefunden hat.(81)

6 Abchasien drei Jahre nach Kriegsende - die Probleme bleiben

Die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Nation, der Glaube an die Ausschließlichkeit der eigenen Mission, die Verblendung durch die Idee, entweder nationale Einheit bzw. nationale Unabhängigkeit um jeden Preis zu erlangen sowie die Unfähigkeit, naheliegende politische Perspektiven zu erkennen, kamen den beiden Konfliktparteien teuer zu stehen. Der Krieg in Abchasien, der von August 1992 bis Oktober 1993 dauerte, forderte zahlreiche Todesopfer und löste große Flüchtlingsströme aus. Er zerstörte die Infrastruktur und die Wirtschaft dieser bis in die jüngste Vergangenheit relativ blühenden Region. Auch heute, dreieinhalb Jahre nach der Einstellung der Kämpfe, sind unbebaute Felder, Ruinen verbrannter Häuser, leere Strände und Sanatorien ein gewohntes Bild in der abchasischen Landschaft. Etwa die Hälfte der Bevölkerung, die Abchasien vor dem Krieg hatten, war gezwungen, es zu verlassen. Dazu gehörten nicht nur Georgier, sondern auch Angehörige anderer Nationen - einschließlich der Abchasier. Der Versuch, den abchasischen Sezessionsbestrebungen mit militärischen Mitteln Einhalt zu gebieten, schlug fehl. Die kurz nach der Einstellung der Kämpfe aufgenommenen Verhandlungen, die bis heute geführt werden, und primär die Struktur der staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Abchasien und Georgien betreffen, haben bislang keine Lösung gebracht, die von beiden Seiten akzeptiert würde. Zu hoch waren die vorangegangenen Verletzungen und Opfer gewesen, als daß  sich leicht ein Kompromiß finden ließe. Einziger Fortschritt in diesen Verhandlungen stellen bis heute die beiderseitigen  Konzessionen dar: Abchasien verzichtet auf die bis 1995 verfolgte Idee eines Anschlusses an Rußland. Stattdessen brachte die abchasische Seite den Vorschlag einer „föderativen Union" mit Georgien ein. Dabei schwebt den Abchasiern eine staatsrechtliche Beziehung zu Georgien vor, die weder mit einer Föderation noch einer Konföderation gleichzusetzen ist. Faktisch hieße dies für Abchasien, die Kompetenzen der Außenpolitik und der Grenzkontrolle an Georgien abzutreten. Unter Berücksichtigung der konkreten Situation ist dies nicht wenig, kann aber Georgien als endgültige Lösung nicht zufrieden stellen. Georgien seinerseits weist darauf hin bereit zu sein, Abchasien weitgehende Autonomierechte zu gewähren, sofern das Grundprinzip Bestand hat, daß Abchasien integraler Bestandteil Georgiens bleibt. Neben dem Problem des politischen Status Abchasiens bleibt die Rückkehr georgischer Flüchtlinge nach Abchasien, welche die abchasische Seite mit verschiedenen Mitteln zu verhindern sucht, das wichtigste ungelöste Problem. Gerade dieser Umstand dient Tiflis als zentrales Argument, wenn es von Zeit zu Zeit Suchum droht, erneut zur Gewalt zu greifen, um den Konflikt zu lösen. Radikale Stimmungen kommen derzeit sowohl in der georgischen politischen Elite als auch unter georgischen Flüchtlingen auf. Den russischen Streitkräften legt man immer öfter zur Last , daß sie sich als unfähig erwiesen hätten, das zu erfüllen, weshalb Georgien und Abchasien ihrer Anwesenheit auf dem eigenen Territorium zugestimmt haben. Die Rede ist davon, die Heimkehr georgischer Flüchtlinge nach Abchasien sicherzustellen..

Der georgische Versuch, die tschetschenische Entwicklung auszunutzen, um Rußland auf seine Seite zu ziehen und mit ihm gemeinsam Abchasien unter Druck zu setzen, zeitigte Resultate. Häufig betonte der georgische Präsident Schewardnadse die Parallele zwischen der tschetschenischen und der abchasischen Entwicklung: Die Quintessenz seiner Argumentation lautete, daß ohne das Vorbild Abchasien die Eskalation in und um Tschetschenien nicht denkbar gewesen wäre.(82)

Mehrfach versuchte Georgien, den russischen bewaffneten Verbänden, die in Abchasien aufgrund einer Vereinbarung vom 14. Mai 1994 zwischen der abchasischen und georgischen Seite stationiert sind, alle Polizeifunktionen zu übertragen. Dies lehnte Moskau unter Hinweis auf fehlende völkerrechtliche Grundlagen und die fehlende Ausbildung der Truppen ab.

Dagegen verstärkte Rußland seine im Dezember 1994 gegen Abchasien verhängte Wirtschaftsblockade. Infolgedessen leiden viele tausende Einwohner des multinationalen Abchasiens Not. Der Handel mit Rußland und der Tourismus, welche die einzigen Einnahmequellen der Bevölkerung dieser ruinierten Republik waren, liegen brach. Darüber hinaus schneidet die Blockade die Eisenbahn- und Autobahnverbindungen ab, die Rußland durch das abchasische Territorium mit Georgien und Armenien verbanden. An der Grenze zu Rußland, die ausschließlich Frauen und Kinder sowie Männer im Alter von über 50 Jahren passieren dürfen, wurden in aller Öffentlichkeit Passiergelder und andere Abgaben verlangt. 83 Solche „Sanktionen", die noch nie und nirgends zu einem Verzicht auf die Ergebnisse eines militärischen Sieges geführt haben, sind für eine künftige und dauerhafte politische Regelung des georgisch-abchasischen Konflikts kontraproduktiv. Der einzig reale „Sieg" der Abchasier ergibt sich heute aus der demographischen Situation. Durch Flucht und Vertreibung stieg der Anteil der Abchasier an der Bevölkerung der Republik Abchasien. Zählten die Abchasier vor dem Krieg nur 17,5 Prozent der Bevölkerung, so stellen sie heute fast die Hälfte der Bevölkerung. Durch die Wiederherstellung der demographischen Vorkriegssituation könnten konfliktträchtige Bestrebungen wieder Auftrieb bekommen. Sobald die georgische Bevölkerung in Abchasien wieder zur Mehrheit wird, könnte sie sofort für den Verzicht auf Autonomieregelungen eintreten und die Integration Abchasiens in Georgien fordern. Dadurch wäre die Vorkriegssituation wiederhergestellt. Ohne eine politische Regelung kann man wahrscheinlich die Abchasier nur durch  einen militärischen Sieg zu einer schnellen und massenhaften Aufnahme georgischer Flüchtlinge zwingen. Doch ein solcher Sieg auf militärischem Wege dürfte für Georgien ohne eine nachhaltige Unterstützung von seiten Rußlands in absehbarer Zeit kaum möglich sein. Es bleibt zweifelhaft, ob Rußland willens sein wird, sich nach dem Tschetschenien-Krieg mit einem weiteren bewaffneten Konflikt zu belasten, selbst wenn es um dieselbe „Aufrechterhaltung der territorialen Integrität" eines seiner GUS-Partner geht, die von den russischen Verantwortlichen als „würdiges Ziel" zur Rechtfertigung des Krieges in Tschetschenien bemüht worden ist. Eine Rückkehr zur ethnischen Vorkriegssituation in Abchasien erscheint ohne die weitgehende Regelung eines ganzen Komplexes zentraler politischer Probleme kaum möglich. Gleichzeitig wäre eine Wiederherstellung der Ausgangssituation kaum wünschenswert, denn eben sie hat in bedeutendem Maße zur Entstehung des Konflikts beigetragen. Undurchdachte und überstürzte, und umso mehr gewaltsame Versuche, die akuten Probleme des georgisch-abchasischen Konflikts zu „lösen", können ihn in der Tat in die Nähe des tschetschenischen Konflikts rücken, indem sie wieder nur Terrorismus oder Partisanenkrieg provozieren. So kann beispielsweise die Rückkehr der georgischen Flüchtlinge nur das Ergebnis einer friedlichen Regelung des georgisch-abchasischen Konflikts sein.

7 Chronik des Abchasienkonflikts von 1989 bis 1997

1989

19.3.1989 Verabschiedung des "Abchasischen Briefes" in Lychny. 15./16.7.1989 Erste gewalttätige georgisch-abchasische Zusammenstöße in Suchum; 17 Tote und 448 Verletzte.

1990

25.8.1990 Erklärung der Souveränität der abchasischen ASSR im regionalen Obersten Sowjet.

Okt. 1990 Swiad Gamsachurdias Koalition "Runder Tisch-Freies Georgien" gewinnt die ersten freien Wahlen in Georgien.

Dez. 1990 Wladislaw Ardsinba wird zum Vorsitzenden des Obersten Sowjet Abchasiens gewählt.

1991

17.3.1991 Teilnahme Abchasiens am sowjetischen Unionsreferendum. Die Abchasier stimmen mit großer Mehrheit für den Eintritt in eine erneuerte Union als Autonome Republik Abchasien. Boykott des Referendums durch Georgien.

14.4.1991 Gamsachurdia wird vom Obersten Sowjet Georgiens zum Präsidenten gewählt.

29.9.1991 Parlamentswahlen in Abchasien. Das in Gesprächen mit der georgischen Führung ausgehandelte Wahlrecht sieht eine Quotenregelung für die Aufteilung der Sitze zwischen den Nationalitäten Abchasiens vor.

1992

6.1.1992 Militärputsch in Tiflis, der vom Führer der Georgischen Nationalgarde Tengis Kitowani angeführt wird. Flucht Gamsachurdias.

22.2.1992 Annullierung der Verfassung der Georgischen SSR aus dem Jahre 1978 und Reaktivierung der Verfassung von 1921 durch das Parlament in Tiflis.

10.3.1992 Der ehemalige sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse wird zum Vorsitzenden des neu gebildeten georgischen Staatsrats ernannt. Tengis Kitowani wird Verteidigungsminister.

23.7.1992 Annullierung der Verfassung der abchasischen ASSR aus dem Jahre 1978 durch das abchasische Parlament; provisorische Inkraftsetzung der Verfassung von 1925, die eine Union Abchasiens mit Georgien auf gleichberechtigter Grundlage festschreibt.

31.7.1992 Aufnahme Georgiens in die Vereinten Nationen.

11.8.1992 Anhänger Gamsachurdias nehmen den georgischen Minister des Inneren sowie einige weitere hohe Beamte in West-Georgien als Geiseln.

14.8.1992 Einmarsch von Truppen des georgischen Staatsrats in Abchasien. Offizielle Ziele des Einmarschs sind, die "Sabotage und Plünderung der Eisenbahnwege" in Abchasien zu unterbinden sowie die Befreiung georgischer Staatsvertreter, die angeblich von Anhängern des gestürzten georgischen Präsidenten Gamsachurdia festgehalten werden.

Parlamentspräsident Ardsinba verkündet die allgemeine Mobilmachung und bittet Rußland sowie die nordkaukasischen autonomen Republiken der Russischen Föderation um Beistand.

18.8.1992 Der "Kongreß der kaukasischen Bergvölker (KGNK)" stellt Georgien ein Ultimatum zum Abzug aus Abchasien und kündigt die Entsendung von Freiwilligen an.

25.8.1992 Der georgische Oberkommandierende in Abchasien, Georgi Karkaraschwili, stellt im abchasischen Fernsehen der abchasischen Seite ein Ultimatum zur Niederlegung ihrer Waffen.

3.9.1992 Bei Verhandlungen in Moskau wird ein Waffenstillstand beschlossen.

25.9.1992 Der Oberste Sowjet der Russischen Föderation verabschiedet eine Resolution, in der Georgien für den Ausbruch des Krieges verantwortlich gemacht wird.

Okt. 1992 Offensive der abchasischen Streitkräfte, Einnahme von Gagra und des westlichen Landesteils.

8.10.1992 Georgien bittet die NATO und die KSZE um Hilfe bei der "Verteidigung der territorialen Integrität" Georgiens.

11.10.1992 Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Georgien; Schewardnadse erhält über 90% der Stimmen.

14.12.1992 Abschuß eines russischen Hubschraubers bei der Evakuierung von Flüchtlingen aus der belagerten Stadt Tkwartscheli durch georgische Einheiten.(62 tote, mehrheitlich Kinder)(Z.K.)

6.5.1992 Tengis Kitowani tritt von seinem Amt als Verteidigungsminister zurück; Nachfolger wird Georgi Karkaraschwili.

1993

8.5.1993 Vereinbarung eines Zeitplans für den Abzug der russischen Truppen aus Georgien durch die Verteidigungsminister Rußlands und Georgiens.

14.5.1993 Bilaterale Gespräche zwischen Jelzin und Schewardnadse in Moskau; Vereinbarung eines weiteren Waffenstillstands mit Wirkung ab 20. Mai.

Ende Juni 1993 Neuer Großangriff der Abchasier auf Suchum und die georgischen Verbindungslinien.

27.7.1993 Georgien, Abchasien und Rußland unterzeichnen in Sotschi einen dritten Waffenstillstandsvertrag.

16.9.1993 Abchasischer Angriff auf Suchum.

27.9.1993 Fall von Suchum.

1994

3.4.1994 Vereinbarung zwischen Abchasien und Georgien zur Beendigung der jüngsten Feindseligkeiten und zur Rückkehr von ca. 250.000 Georgiern nach Abchasien, die während der Kämpfe ihre Heimat verlassen hatten.

26.5.1994 Demonstrationen von ca. 3000 Oppositionsanhängern und georgischen Flüchtlingen aus Abchasien. Sie fordern die Niederlegung von Georgiens GUS-Mitgliedschaft, die Rücknahme der getroffenen Regelungen des Abchasienkonflikts sowie den Rücktritt Eduard Schewardnadses. Gleichzeitig demonstrieren etwa 1000 Menschen für den gestürzten Präsidenten Gamsachurdia.

9.6.1994 Dekret des russischen Präsidenten Jelzin zur Bildung einer Friedenstruppe zum Einsatz in Abchasien.

4.7.1994 Nach kurzer Feuerpause eröffnen georgische Streitkräfte erneut das Feuer auf abchasische Einheiten in der Kodor-Schlucht.

21.7.1994 Der UN-Sicherheitsrat bestätigt den Einsatz rußländischer Friedenstruppen in Abchasien, will aber gleichzeitig die Zahl der UN-Beobachter in der Region erhöhen.

1.9.1994 Bei Gesprächen in Genf unter UN-Schirmherrschaft legen die Konfliktparteien Bedingungen für die Rückkehr georgischer Flüchtlinge fest..

14.9.1994 Eine vom stellvertretenden russischen Verteidigungsminister Kondratjew initiierte vorzeitige Rückführung georgischer Flüchtlinge nach Abchasien führt zu erneuten Spannungen und spontanen Protestdemonstrationen in Abchasien. In einer zweiten Gesprächsrunde sagt Georgien den Abzug verbleibender Militärs aus der Kodor-Schlucht zu. Im Gegenzug garantiert die abchasische Seite, die Rückführung georgischer Flüchtlinge nicht weiter zu behindern.

12.10.1994 Vereinbarungsgemäßer Beginn der Flüchtlingsrückkehr. Der ehemalige Premierminister Georgiens Tengis Sigua und der ehemalige georgische Verteidigungsminister Tengis Kitowani gründen eine Nationale Befreiungsfront, zu deren Ziel die Wiederherstellung der "georgischen Integrität" erklärt wird.

26.11.1994 Das abchasische Parlament verabschiedet eine neue Verfassung, die die Republik Abchasien zu einem  souveränen Rechtsstaat auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker erklärt. Der Parlamentsvorsitzende Wladislaw Ardsinba wird zum ersten Präsidenten der Republik gewählt.

1.12.1994 Das georgische Parlament spricht dem Parlament und der Verfassung in Abchasien jegliche Legitimität ab und betont Georgiens „moralisches und politisches" Recht, mit allen Mitteln seine staatliche Souveränität wiederherzustellen.

6.12.1994 Auf dem KSZE-Gipfel in Budapest verurteilen die Teilnehmerstaaten den Ausschluß der georgischen Flüchtlinge durch Abchasien und bekräftigen Georgiens Integrität, können sich aber nicht auf ein gemeinsames Vorgehen zur Friedenserhaltung in der Region einigen.

18.12.1994 Schewardnadse erklärt seine Unterstützung für das russische Vorgehen in Tschetschenien. Rußland müsse seine nationalen Interessen und seine territoriale Integrität verteidigen.

1995

13.1.1995 Georgische Sicherheitskräfte vereiteln den Versuch der neu gegründeten Nationalen Befreiungsfront, die Rückführung georgischer Flüchtlinge nach Abchasien notfalls mit Gewalt zu beschleunigen. Zwei Buskonvois, deren Insassen die gewaltsame Wiedereingliederung Abchasiens in den georgischen Staatsverband beabsichtigten, werden in Westgeorgien gestoppt. 370 Menschen werden entwaffnet und festgehalten..

30.3.1995 Abchasien nimmt unter dem Eindruck des Tschetschenienkriegs von seinen Forderungen nach vollständiger Unabhängigkeit Abstand und erklärt seine Bereitschaft zu einer "gleichberechtigten Föderation" mit Georgien.

26.5.1995 Verlängerung des Mandats der russischen Friedenstruppen bis Ende 1995 auf dem GUS-Gipfel in Minsk.

24.8.1995 Das georgische Parlament verabschiedet eine neue Verfassung. Über die Beziehungen zwischen Tiflis und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien sagt die Verfassung nichts aus.

24.10.1995 Die russische Föderation errichtet um Abchasien eine Landblockade und sperrt den Hafen Suchum als letzten Zugang Abchasiens zur Außenwelt, um die abchasische Führung unter Druck zu setzen. Infolge der Weigerung von Vertretern Abchasiens, die Friedensgespräche mit Georgien unter diesen Bedingungen fortzusetzen, wird die Landblockade eine Woche später aufgehoben.

31.10.1995 Die für den 5. November in ganz Georgien angesetzten Wahlen werden von der zentralen Wahlkommission Georgiens für Abchasien und die südossetischen Wahlbezirke verschoben. Der abchasische Präsident Ardsinba sagt, er würde die Durchführung der Wahlen nicht zulassen.

27.12.1995 Der ehemalige georgische Verteidigungsminister Tengis Kitowani steht in Tiflis vor Gericht. Er wurde im Januar nach dem Versuch, Abchasien gewaltsam Georgien wiedereinzugliedern, verhaftet und ist der Bildung illegaler militärischer Einheiten angeklagt.

1996

12.1.1996 Der UN-Sicherheitsrat stimmt einer sechsmonatigen Verlängerung der Mission der UN-Friedenstruppen in Abchasien zu.

2.2.1996 Georgische Oppositionsführer fordern den sofortigen Abzug aller rußländischen Truppen aus Georgien. Sie rufen die georgische Führung dazu auf, aus der GUS auszutreten und das "peacekeeping-Mandat" Rußlands in Abchasien zu annullieren.

13.2.1996 Abchasien schlägt die Schaffung eines "Föderalen Bundes zwischen Georgien und Abchasien" vor. Er soll Elemente einer Föderation (Bundesstaat) und einer Konföderation (Staatenbund) enthalten..

19.3.1996 Der abchasische Präsident Wladislaw Ardsinba tritt für die Wiederherstellung der Sowjetunion ein, allerdings nur unter der Bedingung, daß Abchasien Georgien nicht eingegliedert wird.

24.3.1996 Nach erneuten Spannungen um die Blockade des abchasischen Hafens Suchum durch die rußländische Marine kommt es zu einer Einigung zwischen der abchasischen Führung und Vertretern der rußländischen Einheiten. Die Blockade wird aufgehoben.

17.4.1996 Das georgische Parlament stellt ein Ultimatum, das den Rückzug der rußländischen Friedenstruppen an der georgisch-abchasischen Grenze fordert, sofern deren Mandat nicht innerhalb der nächsten zwei Monate verlängert wird, um rückkehrenden georgischen Flüchtlingen wirksamen Schutz zu gewährleisten.

6.7.1996 Eine OSZE-Mission fordert die internationale Untersuchung schwerer Menschenrechtsverletzungen(?) in Abchasien, die sich vor allem gegen ethnische Georgier richten.

22.7.1996 Abchasien und Georgien erzielen eine Einigung in der Frage der rußländischen Friedenstruppen. Die im Bezirk Gali stationierten Truppen, wohin zehntausende georgische Flüchtlinge zurückkehren möchten, sollen mit Polizeibefugnissen ausgestattet werden, um die Georgier vor möglichen Anschlägen militanter abchasischer Kräfte(?) zu schützen.

31.8.1996 Ardsinba setzt Parlamentswahlen in Abchasien für den 23.11.1996 an. Das existierende abchasische Parlament hatte sich während des Bürgerkrieges 1992/93 gespalten, die georgischen Deputierten waren nach Tiflis geflohen, wo sie ein Exilparlament bildeten.

27.9.1996 Erneute Gewaltausbrüche in Abchasien am dritten Jahrestag der "Eroberung" Suchums durch die Abchasier. Unbekannte beschädigen mehrere Verwaltungsgebäude in Gali. Protest georgischer Flüchtlinge gegen die georgisch- abchasischen Verhandlungen sowie die für November angesetzten Wahlen.

2.10.1996 Das georgische Parlament erklärt die für den 23.11.1996 angekündigten Wahlen in Abchasien für illegal.

8.10.1996 Der ehemalige georgische Verteidigungsminister Kitowani wird wegen der Bildung illegaler bewaffneter Einheiten und illegalen Waffenbesitzes zu acht Jahren Haft verurteilt.

22.10.1996 Der UN-Sicherheitsrat ruft Abchasien zur Verschiebung der geplanten Wahlen auf, bis eine politische Lösung der Frage des Status Abchasiens gegenüber Georgien gefunden sei. Ein Büro zur Prüfung von Menschenrechtsverletzungen soll laut einer Resolution des UN-Sicherheitsrats in Suchum eingerichtet werden. Das  georgische Fernsehen hatte zuvor von erneuten Angriffen bewaffneter abchasischer Formationen auf ein Dorf im Bezirk Gali berichtet.

24.10.1996 Der georgische Präsident Schewardnadse ruft die Bevölkerung Abchasiens zum Boykott der Parlamentswahlen auf.

13.11.1996 In einer Reaktion auf georgische Proteste sagt der abchasische Präsident Ardsinba, daß die georgische Bevölkerung Abchasiens, die er auf ca. 90.000 Personen schätzt, in keinster Weise an der Teilnahme an den Wahlen am 23.11. gehindert würde. Im Gegensatz zum vorangegangenen sollen die Sitze im neuen abchasischen Parlament nicht nach nationalen Quoten verteilt werden.

23.11.1996 Trotz internationaler Proteste finden die Wahlen zum abchasischen Parlament statt. 81 Kandidaten, darunter 65 Abchasier und drei Georgier bewerben sich um die 35 Sitze. Die Wahlbeteiligung liegt nach Schätzungen bei über 80%. In einem Gegenreferendum verurteilen ca. 230.000 georgische Flüchtlinge, die Abchasien 1992/93 verlassen hatten, die Durchführung der Wahl .

26.11.1996 Die georgische Führung, das russische Außenministerium sowie Vertreter des UN-Sicherheitsrats mißbilligen die Wahlen.

1997

15.1.1997 Das abchasische Parlament fordert die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen, die seit Januar 1996 auf der Republik lasten, da sie die Lösung des Abchasienkonflikts unterminierten. Zuvor hatte der georgische Außenminister die GUS-Staaten aufgefordert, die Blockade zu verschärfen, bis Abchasien die Rückkehr der 200.000 georgischen Flüchtlinge ermögliche.

26.1.1997 Der georgische Präsident Schewardnadse erklärt, Georgien werde nicht innerhalb der Einflußsphäre Rußlands bleiben, wenn Moskau Georgien nicht helfe, seine Souveränität über Abchasien und Südossetien wiederherzustellen.

27.1.1997 Der abchasische Präsident Ardsinba befürwortet eine Verlängerung der von Rußland geleiteten GUS-peacekeeping-Mission in Abchasien. Die pro-georgische abchasische Exilregierung hingegen lehnt die weitere Präsenz der Friedenstruppe ab, da sie "die Sache der Abchasier" unterstützte.

25.2.1997 Die Präsidenten Abchasiens und Georgiens, Ardsinba und Schewardnadse suspendieren bilaterale Gespräche über den zukünftigen Status Abchasiens mit dem Hinweis auf die angebliche Unnachgiebigkeit der jeweils anderen Seite.

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1- Siehe hierzu den Überblick: Wassiljewa, Olga, Konflikte im Nordkaukasus. Ursachen, Verlauf und Perspektiven, Untersuchungen des FKKS, 1995, 7  sowie Uwe Halbach/Andreas Kappeler(Hg.), Krisenherd Kaukasus, Baden-Baden 1995, sowie Spornye granicy na kavkaze, pod red. Bruno Koppiter, Moskva 1996

2- Fuller, Elisabeth, Konflikte im Transkaukasus: Wer könnte vermitteln? In: Europa-Archiv 48, 1993, 7, S. 193-201, hier 193.

3- Siehe Tschervonnaja, Svetlana, Abchazija 1992: postkommunistitscheskaja gruzinskaja Vandeja, Moskva 1993; Scharija, V., Abchazskaja tragedija, Sochi 1994

4- Zum Staatsaufbau der UdSSR: Auf der Grundlage des Unionsvertrags von 1922, des Gründungsdokuments der Sowjetunion, legte die sowjetische Verfassung von 1923/24 den territorialen Aufbau der Union fest. Als höchste territoriale Ebene unterhalb der Sowjetrepublik waren die "Autonome Sozialistische Sowjetrepublik" (ASSR) sowie das Autonome Gebiet für die Zusammenfassung der in den Sowjetrepubliken lebenden kleineren Volksgruppen vorgesehen. Dabei machte die Verfassung allerdings keinerlei Angaben über Grenzen und Reichweite der Autonomie, die in erster Linie als eine Form beschränkter Selbstverwaltung bzw. als eine Art Kulturauto- nomie verstanden wurde. 1936 gab es außerhalb der Russischen Sowjetrepublik, innerhalb derer 17 ASSR gebildet worden waren, noch fünf weitere in den übrigen Sowjetrepubliken, zwei davon innerhalb Georgiens (Adscharien und Abchasien). Im Gegensatz zu den Unionsrepubliken wurde den ASSR laut Verfassung kein ausdrückliches Recht zum Austritt aus dem Unions- oder Republiksverband zugestanden. Als nächstniedere Stufe der territorialen Gliederung der UdSSR folgten Gebiet (oblast') und Gau (kraj), dann der Verwaltungsbezirk (okrug) und schließlich der Bezirk (rajon). Vgl. hierzu Torke, Hans-Joachim, Historisches Lexikon der   Sowjet-      union 1917/22 bis 1991, München 1993, S. 307

5- Scharija, V., Abchazskaja tragedija. Sochi 1994, 7.

6- Siehe vor allem Tschervonnaja, Svetlana, Abchazija 1992: postkommunisti Tscheskaja gruzinskaja Vandeja, Moskva 1993; Vasil’eva, Ol'ga, Gruzija kak model' postkommunistitscheskoj transformacii, Moskva 1993; Kokeev, Alexander, Der Kampf um das Goldene Vlies. Zum Konflikt zwischen Georgien und Abchasien, HSFK-Report 1993, 3; Otyrba, Gueorgui, War in Abkhazia. The Regional Significance of the Georgian-Abkhazian Conflict, in:National Identity and Ethnicity in. Russia and the New States of Eurasia, ed by Roman Szporluk, New York-London 1994, 281-310; Scharija, V., Abchazskaja tragedija. Sochi 1994.

7- Schuvalov, V., Boj na reke Gudauta, in: Novoe vremja, 1992, 35, 8

8- Otscherki istorii abchazskoj ASSR, tom 1, Suchum 1960, 116-129

9- Siehe Dzidzarija, G. A., Machadzirstvo i problemi istorii Abchazii XIX stoletija, Suchum 1982, 3-29.

10- Izvestija, 21.3.93, 1

11- Abchazija. Chronika neob’'javlennoj voiny, tom 1, Moskva 1992,

12- Abchazija. Chronika neob’'javlennoj voiny, tom 1, Moskva 1992, 7. Die Genese der georgischen Nationalbewegung behandelt: Reissner, Oliver, Die Entstehungs - und Entwicklungsbedingungen der nationalen Bewegung in Georgien bis 1921: in: Uwe Halbach, Andreas Kappeler (Hg.), Krisenherd Kaukasus, Baden-Baden 1995, 63-79.7

13- Schuvalov, V., Boj na reke Gudauta, in: Novoe vremja, 1992, 35, 8

14- Abchazija: vojna za suverenitet, in: Voennyj vestnik, 1992, 1, 14

15- Abchazija: vojna za suverenitet, in: Voennyj vestnik, 1992, 1, 14.

16- Berija stammte aus Mingrelien im Westen Georgiens und war schon 1920 als Vorsitzender der aserbaidschanischen GPU (Geheimpolizei) tätig. 1931 wurde er Erster Sekretär des ZK der KP Georgiens. Unabhängig von den Verbrechen, die Berija in der Phase der Säuberungen (v.a. zwischen 1936-38) zu verantworten hatte, führte er in Georgien eine antiabchasische Politik ein, die bis zu Stalins Tod und Berijas Verhaftung aufrechterhalten bleib. Symptomatisch für sie war insbesondere die erzwungene Ansiedlung verschiedener Nationalitäten (v.a. Mingrelier und Georgier), infolge derer der abchasische Bevölkerungsanteil unter 20% sank. Zu Berija siehe: J.F.Wright - S. Goldenberg - R. Schofield (Hg.): Transcaucasian Boundaries, London 1996, S. 203 f.; Berija: Konec kar’ery, Sost. B.F. Nekrasova, Moskva 1991; Berjia, Sergo, Moj otec - Lavrentij Berija, Moskva 1992 sowie Der Fall Berija. Protokoll einer Abrechnung, hg. v. Viktor Knoll und Lothar Kölm, Berlin 1993.

17- Abchazija: vojna za suverenitet, in: Voennyj vestnik, 1992, 1, 15

18- Abchasisch wurde lediglich als Fremdsprache und noch dazu auf Russisch unterrichtet.

19- Vgl. Sowjetunion 1990/91. Krise. Zerfall. Neuorientierung, hg. v. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, München 1991, 348, 350.

20- Für einen prägnanten Überblick über sowjetische Nationalitätenpolitik und ihre Konfliktfördernden Implikationen siehe Zaslavsky, Viktor, Das russische Imperium unter Gorbatschow. Seine ethnische Struktur und ihre Zukunft, Berlin 1991.

21- Schuvalov, V., Boj na reke Gudauta, in: Novoe vremja, 1992, 35, 8

22- Lychny war vor der Christianisierung eine wichtige Kultstätte der Abchasier, wo sich regelmäßig die Vertreter aller abchasischen Siedlungen trafen.

23- Für den Einsatz zeichnete der heutige russische Verteidigungsminister Igor Rodionov als damaliger Kommandeur des transkaukasischen Militärbezirks verantwortlich, auf dessen Befehl Truppen des Innenministeriums die Demonstration gewaltsam auflösten. Der Vorfall löste allgemeine Empörung aus und wurde Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Siehe Kto est' kto v Rossii i byvãem SSSR, Moskva 1994, 455 sowie Sobtschak, Anatolij A., Chosdenie vo vlast’, Moskva 1991, hier 79-104 und den Abschluß- bericht der Untersuchungskommission zu den Vorfällen in Tiflis, die vom Ersten Volksdeputiertenkonkreß der UdSSR eingesetzt worden war: Zakljutschenie komissii S’’ezda narodnych deputatov SSSR po rassledovaniju sobytij, imevãich mesto v gorode Tbilisi 9. aprelja 1989 goda, in: Smena, 3.1.90

24- Vasileva, Olga, Gruzija kak model' postkommunistitscheskoi transformacii, Moskva 1993, 31.

25- Vasil’eva 1993, 31; Lobanov, S., Gruzino-abchazskij konflikt: prolog, in:  Rossija, 29.9.92, 3

26- Seit etwa 1989 kämpft die südossetische Nationalbewegung für die Ausgliederung des südossetischen Autonomen Gebiets aus Georgien und seine Vereinigung mit der Nordossetischen Republik, die Bestandteil der damaligen RSFSR war bzw. der heutigen RF ist. Die Proklamation der "Südossetischen Unionsrepublik im Bestand der UdSSR" im südossetischen Zentrum Zchinwali führte 1990 zur Aufhebung der Autonomie des Gebiets durch Tbilisi. 1992 gingen georgische Truppen gewaltsam gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen vor, im Sommer 1992 wurden Friedenstruppen in Südossetien stationiert. Südossetien fordert weiterhin von Georgien die volle Anerkennung seiner Unabhängigkeit und lehnt Angebote des georgischen Staates, Georgien einen föderativen Aufbau zu geben, ab. Vgl. Roland Götz/Uwe Halbach, Politisches Lexikon GUS, München 1996, S. 156 f.. Der Konflikt mit der griechischen Minorität dürfte auch den Anstoß zu der griechischen Auswanderungswelle gegeben haben, die bis 1993 auf 30 bis 50 000 Menschen angewachsen ist. Siehe dazu FAZ, 19.8.93.

27- Abchazija. Chronika neob''javlennoj vojny, tschast'1, Moskva 1992, 19

28- In Anbetracht des Auflösungsprozesses der UdSSR, der sich in der Kettenreaktion von Souveränitätserklärungen einzelner Sowjetrepubliken manifestierte und den Bestand der Sowjetunion akut bedrohte, entschloß sich Gorbatschow 1990 zu Verhandlungen über einen neuen Unionsvertrag. Zugeständnisse, wie die Dezentralisierung von Entscheidungsbefugnissen und die Gestaltung föderativer Beziehungen zwischen Unionsmitgliedern und Zentrum auf Vertragsgrundlage sollte eine erneuerte Union für die Mitglieder attraktiver machen, ohne jedoch zentrale Kompetenzen der Union wie Außen-, Sicherheits- und Währungspolitik anzutasten. Vgl. Jahn, Egbert/ Maier, Barbara, Das Scheitern der sowjetischen Unionserneuerung, HSFK-Report 1992,2,15.

29- Bis zu diesem Zeitpunkt lag diese Kompetenz bei den Unionsrepubliken..

30- Zakon SSR „O razgranicenii polnomocij mezdu Sojuzam SSSR i sub’ektami federacii,"... . Unter „Autonomen Gebietskörperschaften" sind die Autonomen Kreise und Autonomen Gebiete zu verstehen, die bis heute in der Rußländischen Föderation existieren und über unterschiedliche Rechte verfügen..

31- Kovalskaja, G., Chronika upuãtschennych vozmosnostej, in: Novoe vremja, 1992, 42, 11.

32- Kovalskaja, G., Chronika upuãtschennych vozmosnostej, in: Novoe vremja, 1992, 42, 11.

33- Siehe zu den  Unruhen von 1978: Simon, Gerhard, Die nichtrussischen Völker als Elemente des Wandels in der sowjetischen Gesellschaft, in: Sowjetunion 1978/79. Ereignisse, Probleme, Perspektiven, hg. v. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, München 1979, 85-95, hier 91.

34- Avangard, 1.3.89, 4.

35- Avangard, 1.3.89, 4

36- Molodeþ Gruzii, 30.3.90

37- Molodeþ Gruzii, 30.3.90.

38- Molodeþ Gruzii, 30.3.90.

39- Molodeþ Gruzii, 30.3.90.

40- Moskovskie novosti, 1992, 42

41- V Tbilisi skazali: „Ne nado." Abchazija ne posluãalas’, Nezavisimaja gazeta, 21.3.91

42- Rückwirkend bewertete der dritte „Aidgylara"-Kongreß im April 1992 seine übermäßige Fixierung auf die UdSSR als einen Fehler. Aber die „Aidgylara"-Führer betonten dabei, daß diese Orientierung „dem Interesse des abchasischen Volkes unter den damaligen historischen Umständen entsprochen" habe und es gelungen sei, ungeachtet aller Vorwürfe, damit eine „prokommunistischen Orientierung" vertreten zu haben, eine Spaltung des abchasischen Volkes zu vermeiden. Siehe Respublika Abchazija, April 1990.

43- Dabei handelt es sich um ungeschriebene Verhaltensregeln für die Abchasier, die vorwiegend die Erziehung der Jugend betreffen.

44- In der Geschichte des georgischen Volkes spielten die drei verwandten Stämme Kartwelier, Mingrelier und Swanen eine wichtige Rolle. Kartwelier ist eine Selbstbenennung der Georgier, die Mingrelier und die Swanen haben ihre eigenen, dem Georgischen nahen Sprachen, jedoch keine Schriftsprachen.

45- Georgien gehört auch die autonome Republik Adscharien an, die v.a. von muslimischen Georgiern bewohnt wird.

46- Respublika Abchazija, 18.4.92

47- Als einen Hauptgrund, die Rückkehr der von Stalin deportierten Mes'cheten zu verhindern, gaben georgische Nationalisten an, daß es „echte Türken einer eigenen Identität" seien. Siehe Zarja Vostoka, 11. Juli 1989. In einem Aufruf von 1990 an das georgische Volk im Namen des Helsinki-Verbandes Georgiens, der „Gesellschaft Ilijas des Heiligen und Gerechten" sowie der „Partei der nationalen Unabhängigkeit" heißt es:  „Von heute an läßt das georgische Volk nicht zu, daß Türken oder Bürger, die türkisches Nationalbewußtsein vertreten, Georgien besiedeln." Molodes Gruzii, 16.3.90.27

48- Zarja Vostoka, 2.5.90

49- Molodes Gruzii, 26.1.90

50- Zarja Vostoka 18.7.89.28

51- Dieser Begriff der neueren Nationalismusforschung soll ausdrücken, daß nationalstaatliches Verlangen nicht naturwüchsig entsteht, sondern daß es von einigen Personen, meist Intellektuellen, erzeugt und mobilisiert wird, die sich für dieses "Geschäft" zukünftige Machtpositionen im neuen, ethnisch begründeten Staat als ihren Gewinn in Sachen ethnischer und nationaler Angelegenheiten erhoffen. (Anm. der Red.)

52- Tiãkov, V., O nacii i nacionalizme, in: Svobodnaja mysl’, 1996, 3, 31

53- Molodes Gruzii, 26.9.89

54- Zu dieser Zeit sah der radikal gestimmte Teil der abchasischen Bevölkerung einen großen Teil der Georgier als Gäste der Abchasen an, die nicht im 17. Jahrhundert, als nach Auffassung der Georgier die Osseten nach Georgien gekommen waren, sondern in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts nach Abchasien übergesiedelt waren.

55- Molodes Gruzii, 26.9.89

56- Tschervonnaja, Svetlana, Abchazija 1992: postkommunistitscheskaja gruzinskaja Vandeja, Moskva 1993, hier 57/58.30

57- Narodnoe obrazovanie, 8.4.90

58- Molodes Gruzii, 2.3.90. Es handelt sich hier um einen Appell an die Teilnehmerstaaten der KSZE im Namen von Swiad Gamsachurdia (Helsinki-Verband Georgiens), Tedo Paataschwili (Gesellschaft „Ilijas des Heiligen und Gerechten"), Iraklij Zereteli (Partei der Nationalen Unabhängigkeit Georgiens), Temur Shorsholiani (Konservative Monarchistische Partei Georgiens).

59- Zarja Vostoka, 28.4.90

60- Narodnoe obrazovanie, 8.4.90.

61- Narodnoe obrazovanie, 8.4.90

62- Die Abchasier nahmen an den Wahlen aus Protest dagegen nicht teil, daß Georgien den föderativen Aufbau der Republik abgelehnt hatte. Darin sahen die Abchasier den Ausdruck „des imperialen Trends zum Unitarismus." Siehe: Sovetskaja Abchazija, 20.10.90

63- Am 25. August 1990 verabschiedete das abchasische Parlament mit dem Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der Abchasischen ASSR W. Kobachija an der Spitze mit relativer Mehrheit die Deklaration zur staatlichen Souveränität Abchasiens und die Resolution "Über die rechtliche Garantien der Verteidigung der Staatlichkeit Abchasiens". Dieser Beschluß wurde vom Präsidium des Obersten Sowjets Georgiens sofort annulliert, weil er „den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zuwiderläuft". Er wurde als separatistischer Angriff auf die territoriale Integrität Georgiens aufgefaßt. Zum September 1990 erklärten fünf Autonome Republiken der UdSSR, Abchasien, Karelien, Komi, Nord-Ossetien und Tatarstan, ihre Souveränität. Auffällig ist dabei, daß in den Autonomen Republiken im Unterschied zu den Unionsrepubliken zentripetale Kräfte dominierten..

64- Vgl. dazu „Schevardnadze poterpel pobedu", Moskovskie novosti, 1992, 42 (18.10) sowie die Charakterisierung in: „Der alte Fuchs hat alle Konkurrenten ausgetrickst", Rheinischer Merkur, 3.11.95

65- Vgl. Schewardnadzes Bemerkungen auf der Presseekonferenz vom 8. März 1992, in: Respublika Abchazija, 11.3.92.35

66- Respublika Abchazija, 25.2.92.

67- Die Notwendigkeit der Marinebasis war in der Georgischen Presse erstmals im April und Mai 1992 diskutiert worden. Vgl. z.B. Svobodnaja Gruzija, 7.5.92

68- Den Beschluß faßten 35 von 60 Abgeordneten. Die georgischen Deputierten boykottierten die Sitzung.

69- Vasileva, Olga, Gruzija kak model’ postkommunistitscheskoj transformacii, Moskva 1993, 33

70- Schuvalov, V., Boj na reke Gudauta, in: Novoe vremja, 1992, 35, 6-8, 6

71- Der Staatsrat wurde nach dem Sturz Gamsachurdias bis zu den Neuwahlen im Oktober 1992 eingesetzt..

72- ITAR-TASS, 25.7.92

73- Abchazija. Chronika neob’’javlennoj vojny, tom 1, Moskva 1992, 7. Diese Umfrageergebnisse stammen vom Pressedienst des Obersten Sowjets Abchasiens und sind daher vor dem Hintergrund der zugespitzten Auseinandersetzungen mit Vorsicht zu behandeln..

74- Moskovskie Novosti, 1992, 36 (6.9.), 11

75- RIA, 29.7.92

76- Abchazija: Vojna za suverenitet, in: Voennyj vestnik, 1992, 1, 16.

77- Abchazija. Chronika neob’’javlennoj vojny, tom 1, Moskva 1992, 11

78- Respublika Abchazija, 17.6.92.

79- Gazeta Abchazija, 23, 1992, 2

80- Kuranty, 28.8.92

81- Die weiteren Eskalationsstufen und die militärischen Aspekte des Bürgerkrieges werden eingehend dargestellt in: Kokeev, Alexander, Der Kampf um das Goldene Vlies. Zum Konflikt zwischen Georgien und Abchasien, HSFK-Report 1993, 3, hier 18-26.41

82- So führte Präsident Schewardnadse in einem Interview aus: "Ich bezweifle nicht, daß es, wenn es den Krieg in Abchasien nicht gegeben hätte, auch der Krieg in Tschetschenien nicht stattgefunden hätte: Eduard Ãevardnadze: Poþnem mir, poþnem blagopolutschie, Nezavisimaja gazeta, 15.6.96, 3 sowie SB OON O edinstve gruzinskogo gosudarstva, Nezavisimaja gazeta, 17.7.96, 3.