Georgien (Abchasien / Weiße Legion)

 

(Bewaffneter Konflikt)

 

 

Im Mai 1998 brachen in der abchasischen Region Gali Kämpfe zwischen georgischen Paramilitärs und abchasischen Milizen aus. Den Kämpfen und folgenden Auseinandersetzungen fielen insgesamt über vierhundert Menschen zum Opfer. Sie standen in direktem Zusammenhang mit dem georgisch-abchasischen Krieg von 1992-94 und dem seitdem ungelösten politischen Konflikt um den Status Abchasiens und die Rückkehr der 1992/93 vertriebenen Flüchtlinge.

 

Abchasien ist aus georgischer Sicht integraler Bestandteil Georgiens. Nach der Russischen Revolution 1917 hatte es allerdings für kurze Zeit eine eigene Unionsrepublik gebildet und wurde erst 1931 als Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) in die Georgische Sowjetrepublik eingegliedert. Ende der 1980er Jahre wurden als Reaktion auf die wachsenden georgischen Unabhängigkeitsbestrebungen in der Abchasischen ASSR Bestrebungen stärker, die Unabhängigkeit von Georgien zu erreichen bzw. in der Sowjetunion zu verbleiben. Eine unter dem nur etwa einhunderttausend Menschen zählenden abchasischen Volk zunehmende Angst vor Überfremdung und Assimilation vermischte sich mit regionalen Machtkonkurrenzen sowie sowjetischen Versuchen, Abchasien als Trumpfkarte gegen die georgischen Unabhängigkeitsbestrebungen einzusetzen. Ein 1988 begonnener "Krieg der Gesetze" zwischen Suchumi und Tiflis eskalierte 1992 mit der Wiederinkraftsetzung der Georgischen Verfassung von 1921, respektive der Verfassung der Abchasischen SSR von 1925. Am 14. August 1992 rückten georgische Einheiten unter dem Befehl des damaligen Verteidigungsministers Tengis Kitowani in Abchasien ein, womit der "Krieg der Gesetze" zu einem richtigen Krieg eskalierte. Nachdem mehrere von der Russischen Föderation vermittelten Waffenstillstände von abchasischer Seite gebrochen worden waren und diese mit Unterstützung von Kosacken, Freiwilligen der "Föderation der Völker des Kaukasus" sowie (ehemaliger) russischer Offiziere die georgische Nationalgarde aus Abchasien vertrieben hatte, erwies sich schließlich ein am 14. Mai 1994 geschlossener vierter Waffenstillstand als haltbarer. Er wird von einer derzeit 1.500 Mann starken GUS-Friedenstruppe sowie 130 UN-Militärbeobachtern (UNOMIG) überwacht.

 

Die bedeutendste Folge des Krieges von 1992-94 stellte die Flucht von ca. 250.000 Menschen, in der Mehrzahl Georgier, aus Abchasien dar. Damit war fast die gesamte georgische Bevölkerung von dort vertrieben worden. Dies trifft auch auf die Gali-Region zu, die vor dem Krieg zu 98 Prozent georgisch besiedelt war. Den Abchasen, die 1989 nur knapp achtzehn Prozent der Bevölkerung in der Teilrepublik gestellt hatten, war es damit gelungen, die ethnische Zusammensetzung in Abchasien entscheidend zu ihren Gunsten zu verändern.

 

Bei den georgisch-abchasischen Verhandlungen um die Rückführung der Flüchtlinge sowie den zukünftigen Status Abchasiens kam es in der Folgezeit zu keinen grundlegenden Fortschritten, wobei sich insbesondere die Flüchtlingsfrage als zusehends problematisch erwies. Die unkoordinierte und von abchasischer Seite nicht erwünschte Rückwanderung von georgischen Flüchtlingen in die Region Gali wurde begleitet von zunehmenden Aktivitäten paramilitärischer Gruppen, die teils den Schutz georgischer Einwohner Galis gegen abchasische Übergriffe, teils die Rückeroberung des Gebietes als ihre Aufgabe ansahen. Die ca. zweihundert Mann starke "Weiße Legion" sowie andere paramilitärische Einheiten verstärkten schließlich im Frühjahr 1998 ihre Angriffe. Als Reaktion auf einen Überfall am 18. Mai 1998, bei dem siebzehn Abchasier getötet wurden, starteten abchasische Milizen am 20. Mai eine "Strafaktion" gegen die "Weiße Legion", in deren Folge eine Reihe von georgischen Dörfern zerstört wurden. Die Kampfhandlungen dauerten auch nach dem Abschluß eines Waffenstillstandsabkommens am 25. Mai zunächst an und endeten erst am 27. Mai, nachdem die georgische Guerilla unter dem Einsatz von schwerer Artillerie aus dem Gebiet vertrieben worden war. Auf abchasischer Seite sollen dabei erneut Freiwilligenverbände der "Föderation der Völker des Kaukasus" gekämpft haben. Die in Abchasien stationierten GUS-Friedenstruppen und UN-Militärbeobachter griffen ebensowenig in die Kämpfe ein wie reguläre georgische Einheiten; allerdings gilt es als "offenes Geheimnis", daß einige Guerrilliagruppen von der georgischen Regierung unterstützt werden.

 

Während der Kämpfe im Mai wurden vermutlich 350 Menschen getötet und über 1.675 Häuser zerstört, ca. 35.000 Menschen flüchteten aus Abchasien. Georgische Guerillaverbände verübten seit dem Ende der offenen Kampfhandlungen zudem über 35 Anschläge, bei denen ca. dreißig abchasische Polizisten und Funktionsträger sowie sechs Angehörige der de facto nur aus Russen bestehenden GUS-Friedenstruppen getötet wurden. Seit 1994 sind damit insgesamt 67 Angehörige der Friedenstruppen getötet worden.

 

Claus Neukirch