Konfliktherd Kaukasus nach dem 11. September

 

(ar)In der vom Anti-Terrorkrieg erschütterten Kaspischen Region gärt ein Konflikt, der direkte Auswirkungen auf die europäische Sicherheit haben könnte. Die Auseinandersetzungen zwischen Russland und Georgien im Südkaukasus scheinen ohne Vermittlung des Westens kaum lösbar.

Konflikteskalation

Georgien beschuldigt Russland des Neoimperialismus. Moskau würde die Separatisten in Abchasien unterstützen, die Räumung seiner letzten militärischen Basen in Georgien verschleppen und den Bau von alternativen Erdölpipelines vom Kaspischen Meer nach Westen über georgisches Territorium torpedieren. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurde eine zweite Erdölpipeline vom aserbajdschanischen Baku über Georgien ans Schwarze Meer gelegt, die kaspisches Öl unter Umgehung Russlands auf westliche Märkte transportierte. Die Hauptpipeline für kaspisches Öl verlief bekanntlich über Tschetschenien. Je länger der dortige Konflikt anhielt, um so mehr profitierte Georgien als Transitland. Die damals misslungenen Anschläge gegen den georgischen Staatschef Eduard Schewardnadze wurden in Tbilissi im Zusammenhang mit dem Pipelinebau gesehen und Russland zur Last gelegt.

Der Kreml, so Schewardnadze, instrumentalisiere die Abhängigkeiten Georgiens von russischem Gas und Strom, um sein Land mit Gewalt in der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu halten. Russland habe vor kurzem ein Visa-Regime gegen Georgien verhängt, um die georgische Wirtschaft, die heute fast ausschließlich vom Handel mit Russland lebt, zu unterminieren.

Russland beschuldigt seinerseits Georgien, das eine direkte Grenze zu Tschetschenien hat, tschetschenischen Rebellen ein Winterquartier zu gewähren und den Nachschub an Waffen aus den arabischen Ländern nach Tschetschenien über georgisches Territorium nicht zu unterbinden. Entrüstet zeigt sich der Kreml über georgische Bestrebungen, der NATO beizutreten und russische Friedensstreitkräfte in Abchasien durch eine neutrale UN-Schutztruppe aus dem Westen zu ersetzen.

Georgien engagierte sich auch, zusammen mit der Ukraine, beim Aufbau eines neuen regionalen Sicherheitsbündnisses GUUAM (nach den Anfangsbuchstaben der Mitgliedsländer Georgien, Ukraine, Usbekistan, Aserbajdschan, Moldova benannt), das zur Sicherung künftiger Transportwege und Pipelineprojekte aus dem Kaspischen Raum Richtung Westmärkte errichtet wurde. Zum Ärger Moskaus suchte die GUUAM Unterstützung bei der NATO.

Für Russland, das in Kürze eine NATO-Erweiterung bis an seine Westgrenzen schlucken muss, wäre eine weitere Ausdehnung der Nordatlantischen Allianz in den Süden der GUS ein fürchterlicher Albtraum. Deshalb entstanden zwischen Schewardnadze und Putin persönliche Animositäten. Letzterer hat dem ehemaligen sowjetischen Außenminister dessen Rolle bei der Auflösung der UdSSR niemals verziehen.

Keine Konfliktlösungen in Sicht

Wie immer bei solchen Konflikten liegt die Wahrheitsfindung in der Mitte. Selbst unabhängige UN-Gesandte in der Region, wie der deutsche Diplomat Dieter Boden, glauben, dass ein Ende der russischen Friedensmission in Abchasien die Gewaltspirale eher nach oben schiessen lassen würde. Abchasien ist - wie Kosovo auf dem Balkan - de facto unabhängig. Den georgischen Truppen fehlen die militärischen Mittel, um die separatistische Region mit der gleichen Gewalt einzunehmen, wie Russland es mit Tschetschenien vollzogen hat. Eine politische Einigung ist seit zwölf Jahren nicht in Sicht. Die NATO-Staaten können dort nicht Frieden stiften - sie sind derzeit mit ihrem Militärpotenzial auf dem Balkan und in Afghanistan gebunden.

Moskau benutzt in der Tat die drei separatistischen Konflikte in Georgien -- Abchasien, Süd-Ossetien und Adjarien --, um Georgien nicht zu weit in Richtung Westen abdriften zu lassen und darf sich danach nicht darüber wundern, dass Georgien an die Tür der NATO klopft, um im Westen Schutz zu finden.

Eben weil Moskau mit den abchasischen Separatisten sympathisiert, scheint Georgien die tschetschenischen Separatisten in seinen unzugänglichen Bergregionen im Norden, vor allem in der Pankisi-Schlucht, zu dulden, die dort Unterschlupf vor den russischen Truppen gefunden haben. Neben Tschetschenen sollen sich auch arabische Terroristen mit Verbindungen zur El Quaida dort verschanzt haben. Die georgische Armee ist zu schwach, um dort Herr der Lage zu werden.

Beide Staaten, Russland und Georgien, versuchten die entstandene Situation nach den Terroranschlägen vom 11. September auf die USA zu nutzen, um mittels waghalsiger politischer Abenteuer ihre Probleme mit dem tschetschenischen oder abchasischen Separatismus zu lösen. Georgische Sicherheitskräfte sollen einige tschetschenische Kämpfer in einer Nacht-und--Nebel Aktion nach Abchasien verlagert haben, um dort Kämpfe mit den abchasischen Separatisten zu provozieren. Schewardnadze entließ später die verantwortlichen Minister.

Die Abchasen feuerten - offenkundig mit Unterstützung russischer Militärs - zurück. Während US-Bomber letzten Oktober Stellungen der Taliban in Afghanistan bombardierten, flogen russische Kampfhubschrauber Angriffe gegen vermeintliche Stellungen tschetschenischer und arabischer Terroristen in Georgien.

Fortsetzung des "Great Game"

In Zukunft könnten die USA ihr Engagement im Kaukasus verstärken - wenn sie nach der Vertreibung der Taliban und der El Quaida aus Afghanistan ihren politischen Einfluss in der rohstoffreichen Kaspischen Region langfristig zu festigen gedenken. Die EU hat in dieser Region nach wie vor keine geo-strategischen Interessen, ist aber um die sicherheitspolitische und ökonomische Stabilität im Süd-Kaukasus, dessen Staaten Mitglieder des Europarats sind, besorgt.

Der russisch-georgische Konflikt ist nur einer der vielen potenziellen Konfliktherde in der Kaspischen Region. Die beiden Nachbarstaaten Georgiens, Armenien und Aserbajdschan, streiten sich nach wie vor um die Region Nagornyj-Karabach. Russland benutzt diesen regionalen Konflikt, um auf das Erdölförderungsland Aserbajdschan politischen Druck auszuüben. Weitere potenzielle Konfliktparteien im "Great Game" im Kaspischen Raum sind die Türkei und Iran. Die USA unterstützen die Ambitionen des NATO-Partners Türkei in der Region, was auch den Aufbau engerer strategischer Kontakte zwischen Ankara, Tbilissi und Baku begünstigt.

Dies wiederum führt zur Isolierung Armeniens, das eine Anlehnung an Russland und Iran sucht. Kurz vor den Ereignissen vom 11. September drohte zwischen Iran und Aserbajdschan ein schwerer Konflikt über Erdölbohrrechte in einer von beiden Staaten beanspruchten Zone im Kaspischen Meer auszubrechen. Die Gefahr besteht, dass nach Beendigung der Anti-Terror-Militäroperation in Afghanistan die Rivalitäten und Ambitionen grosser und kleiner Akteure des "Great Game" in der Kaspischen Region neu entfacht werden.

US-Ölfirmen hegen offensichtlich neue Pläne, Pipelines aus dem Kaspischen Meer über das befriedete Afghanistan an den Indischen Ozean zu legen, um Alternativen für künftige Transportwege für Energieträger aus der konfliktträchtigen Region am Persischen Golf zu schaffen. Russland, Iran und auch China werden diese Pläne zu torpedieren versuchen.

Der richtige Ansatz der EU, Mitte der neunziger Jahre mit den Korridor-Projekten "Traceca" und "Inogate" eine regionale Wirtschaftskooperation zwischen den Südkaukasischen und zentralasiatischen Staaten aufzubauen, ist vorerst misslungen. Putin hat die Investoren aus den EU-Staaten mit attraktiven Offerten momentan wieder nach Russland locken können. Für die Wirtschaft und die Friedenssicherung in der Region ist ein langfristiges europäisches politisches Engagement dort unabdingbar.