Kein Frieden im „Mandarinenparadies“
Die Regierungskrise in Georgien hat den abchasischen Konflikt scheinbar vergessen lassen. Die Ereignisse der letzten Wochen, die an einen spannenden Thriller erinnern, entwickelten sich rasant und gaben Politikern wie Hausfrauen viele Anregungen zu eigenen Schlussfolgerungen. Dabei ist die Lage in Abchasien weiter angespannt. Das Kodori-Tal wird oft von Hubschraubern bombardiert. Das offizielle Tbilissi behauptet, dass diese aus Russland angeflogen kommen, was nie dokumentarisch bestätigt wurde. Diese Bombardements können dazu führen, dass Georgien seine Kontrolle über das strategisch wichtige Territorium von Klein-Swanetien verliert, das faktisch zur abchasischen Autonomie gehört.
Nach der Beendigung des brudermörderischen Krieges haben die hiesigen Swanen und Abchasen vereinbart, dass sie sich gegenseitig nicht angreifen werden. Dennoch haben die Nachbarn kein großes Vertrauen zueinander, denn Kodori ist ideales Aufmarschgebiet für einen Angriff auf Suchumi. Eben aus diesem Grund ließen sich hier von Zeit zu Zeit außer den hiesigen bewaffneten Einheiten auch Vertreter des georgischen Verteidigungsministeriums und der Truppen des Innenministeriums blicken.
Alles
begann am Herbstanfang diesen Jahres, als der Leiter der Fraktion „Wosroschdenije“
(Wiedergeburt) im georgischen Parlament, Dschumber Gogitidse, erklärte, dass
tschetschenische Trupps nach Megrelien und Kodori gekommen wären. Nach
anfänglichen Dementis musste schließlich auch Eduard Schewardnadse zugeben, dass
er nicht ausschließen könne, dass sich Nordkaukasier in Georgien aufhalten. Was
aber ist wirklich geschehen?
Tschetschenische Kämpfer gelangten zusammen mit einem Strom von Flüchtlingen
nach Georgien, noch bevor die russisch-georgische Grenze von nördlicher Seite
befestigt wurde. Die georgischen Behörden reagierten vorsichtlich-ängstlich.
Jahrhunderte lang haben Tschetschenen und Dagestaner die benachbarten Kartli und
Kachetien angegriffen, Menschen entführt, Häuser beraubt, Vieh gestohlen.
Dasselbe Spiel begann in den 90er Jahren von neuem. Bisher führten alle Spuren
nach Tschetschenien und in das Pankissi-Tal in Georgien, wo seit bereits drei
Jahrhunderten tschetschenische nationale Minderheiten wohnen, die ihre Sprache
und ihren Glauben beibehalten haben.
Über Pankissi kamen auch Drogen und gefälschte Dollar nach Georgien. Tschetschenische Flüchtlinge (offiziell sind etwa 7000 registriert) haben eine unerträgliche, kriminelle Situation in dem Tal geschaffen, so dass Osseten und Georgier diese Gegend verlassen mussten. Auch die tschetschenischen Freiwilligen im abchasischen Krieg hat Georgien nicht vergessen.
Da die georgischen Behörden aber eine Zuspitzung der Beziehungen zu ihren unbändigen Nachbarn befürchtet haben und vermeiden wollten, in einen großen kaukasischen Krieg hineingezogen zu werden, haben sie das Thema entweder verschwiegen oder nur häppchenweise serviert. Seit die russischen Forderungen, die tschetschenischen Banditen loszuwerden, auch von Amerika bekräftigt wurden, wollen die georgischen Behörden alle ihre Probleme mit einem Schlag lösen. Einige Analytiker meinen, dass diese Operation gemeinsam mit den russischen Militärs geplant wurde. Wie der Parlamentsexperte für Verteidigung und Sicherheit, Georgij Baramidse, behauptet, wurden die Tschetschenen aus Pankissi nach Megrelien organisiert abgeschoben.
Niemand in Georgien hat versucht, das abchasische Problem in dieser Phase mit Gewalt zu lösen, schon gar nicht mit Hilfe von Tschetschenen. Bestimmt wird aber der Augenblick kommen, da die georgische Führung glaubt, dass alle friedlichen Mittel ausgeschöpft sind. Vermutlich würde sie dann versuchen, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern und die 300 000 Flüchtlinge wieder in die Heimat zu holen.
Auch die georgischen Partisanen, die größtenteils Flüchtlinge aus Abchasien sind, spielen eine Rolle. Es ist kein Geheimnis, dass sie Sympathien bei den Behörden haben. Der Gouverneur vom Imeretien, Temur Schaschiaschwili, erklärte, dass er die Partisanen mit allen erdenklichen Mitteln unterstützen werde, falls bis zum 26. Mai keine Fortschritte gemacht würden. In einer solchen Situation können die Bombardements des Kodori-Tals, die die Georgier aus einer strategisch wichtigen Region zurückdrängen, das Gleichgewicht der Kräfte wesentlich verändern.
Aus dieser Sicht sollte man auch den Beschluss des georgischen Parlaments betrachten, die Friedenstruppen der GUS, die bereits seit acht Jahren den Frieden in der Region sichern, aus der 30 Kilometer langen Sicherheitszone zurückzuziehen. Niemand außer Russland hatte seine Vertreter dorthin geschickt. Neben den finanziellen Kosten hat Moskau auch menschliche Verluste: 87 Militärangehörige sind während dieser Zeit ums Leben gekommen.
Georgien hat mit den Friedenstruppen auch ein Hühnchen zu rupfen. Wegen der Nichteinmischung der Militärs in Konflikte auf den von russischen Truppen kontrollierten Territorien sind dort über 1000 Zivilisten ums Leben gekommen. Das ist der Grund, warum die Frage des Kontingentersatzes aufgeworfen wird. Die Radikalen bestehen darauf, dass Nato-Friedenstruppen eingeführt werden, die gemäßigten Kräfte würden lieber Ukrainer und Türken bei der Erhaltung der russischen Militärpräsenz heranziehen.
Schewardnadse ist so vorsichtig, dass mit keinen abrupten „Körperbewegungen“ seitens Georgiens zu rechnen ist. Sogar der sich hinziehende Abzug des russischen Militärstützpunkts in Gudauta, der in Tbilissi als eine Hochburg des abchasischen Separatismus betrachtet wird, ruft keine besondere Aufregung bei den Behörden hervor, die sich auf eine diplomatische Note beschränkt haben. Aber der Politiker, der Eduard Schewardnadse auf seinem Posten ablösen wird, wird seine Tätigkeit eben mit der Lösung des abchasischen Problems beginnen müssen. Der Mensch ist wohl kaum zu beneiden.
Michail Ajdinow MDZ 21-11-2001