Der Patriarch als Partner
Der wieder gewählte georgische Präsident Schewardnadse muss zwischen den
geostrategischen Interessen Russlands und der Nato lavieren.
Er erreichte nicht ganz die Wahlergebnisse aus sowjetischen Zeiten, aber mit mehr als 80 Prozent errang Eduard Schewardnadse, der letzte Außenminister der UdSSR, bei den georgischen Präsidentschaftswahlen am 9. April einen Erfolg, der ihn als einen der beliebtesten Politiker der Welt erscheinen lassen könnte.
Die georgischen Behörden und die Anhänger seiner Bürgerunion haben da allerdings ein wenig nachgeholfen, Beobachter sprechen von massivem Wahlbetrug. Die OSZE-Mission formulierte es diplomatisch: »Georgien muss noch bedeutende Fortschritte machen, um seine Verpflichtungen als Mitgliedsstaat der OSZE zu erfüllen.« Doch selbst Dschumber Patiaschwili, Schewardnadses einziger ernst zu nehmender Gegenkandidat, gestand ein, dass er auch ohne die Wahlmanipulationen seines Gegners verloren hätte. Er errang etwas mehr als 16 Prozent der Stimmen, alle anderen Kandidaten blieben bedeutungslos.
Seit 1992 an der Macht, führt Schewardnadse ein autoritäres Präsidialregime, das sich demokratisch geriert. Ähnlich wie in Russland wird in Georgien der kapitalistische Wettbewerb durch mafiose und klientelistische Strukturen überlagert. Mit dabei die »Familie« der Schewardnadse-Getreuen. Sein Neffe kontrolliert den Ölhandel, hohe Bürokraten protegieren ausgedehnte Schmugglerringe - nur etwa ein Fünftel der Importe wird korrekt verzollt. 70 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, wegen des Zusammenbruchs der Gesundheitsversorgung ist die Lebenserwartung drastisch gesunken.
Schewardnadse verdankt seine unangefochtene Führungsposition dem Mangel an politischen Alternativen. Patiaschwili, der ehemalige Vorsitzende der georgischen KP, gilt als Kandidat Russlands, und prorussische Positionen dominieren nur in den rebellischen Regionen Abchasien, Adscharien und Süd-Ossetien, in denen sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 bewaffnete Bewegungen erhoben hatten. Bedrohlich war vor allem der abchasische Aufstand. Obwohl der abchasische Bevölkerungsanteil in Georgien sehr gering ist, gelang es deb Aufrührern mit russischer Unterstützung(?), die georgische Armee in die Flucht zu schlagen.
Der Krieg endete 1993 mit der Stationierung einer Friedenstruppe, die ein Mandat der GUS hat, aber ausschließlich aus russischen Soldaten besteht. Abchasien blieb faktisch unabhängig. Erfolgreicher war die georgische Politik gegenüber Süd-Ossetien und Adscharien. Aslan Abaschidse, der einflussreichste adscharische Politiker, gehörte ursprünglich zu den Gegenkandidaten Schewardnadses bei den Präsidentschaftswahlen. Einen Tag vor der Wahl zog er seine Kandidatur zurück, die georgische Presse vermutet ein Abkommen mit dem Präsidenten, das im Gegenzug Abaschidses regionale Position absichert.
Schewardnadse, dem die Mittel fehlen, um ein effektives und zentralisiertes Klientelsystem zu errichten, ist zu Kompromissen mit regionalen Machthabern gezwungen. Auch die Armee ist nicht in der Lage, alle Landesteile zu kontrollieren. Sie zählt nur 26 000 Soldaten und verfügt über ein dürftiges Budget von 57 Millionen Dollar (1998), das auch noch zu einem beachtlichen Teil von Offizieren veruntreut wird - im März desertierten 50 Soldaten, nachdem sie tagelang nichts zu essen bekommen hatten.
Georgien versucht, die politische und militärische Schwäche durch eine Politik zu kompensieren, die sich auf die strategische Schlüsselstellung des Landes als Transitroute für den Transport von Öl und Erdgas aus Zentralasien und Aserbaidschan und als potenzielles Aufmarschgebiet der Nato an der Südgrenze Russlands stützt.
Im Ringen um Einfluss auf Zentralasien und den Kaukasus gibt es zur Zeit aber Turbulenzen. So gilt es mittlerweile als unwahrscheinlich, dass die US-Politik ihr Ziel, Russland und den Iran vom Geschäft mit den Energievorräten der Region auszuschließen, erreichen kann. Die Ölgesellschaften murren über die hohen Kosten der im November 1999 von den USA durchgesetzten, über Georgien führenden Pipeline Baku-Ceyhan, und die US-Regierung zögert, den zugesagten Beitrag zur Finanzierung zu zahlen. Der Versuch der USA, im Alleingang die Geschäftsbedingungen festzulegen, stößt auf wachsenden Widerstand vor allem bei den zentralasiatischen Staaten, die eine einseitige Abhängigkeit und einen Bruch mit Russland vermeiden wollen.
Zudem werden die US-Interessen nicht von allen westlichen Verbündeten geteilt. Die deutsche Außenpolitik bemüht sich um gute Beziehungen zu jenen Staaten, die vom Pipeline-Geschäft ausgeschlossen werden sollen - und zumindest in der Iran-Politik sind die anderen EU-Staaten auf die deutsche Linie eingeschwenkt. Vieles spricht dafür, dass die Bundesregierung nun auch in der Kaukasus-Politik außenpolitisches Profil gewinnen will.
So wäre es nicht nötig gewesen, den BND-Chef August Hanning nach Tschetschenien zu schicken - geheim- dienstliche Kooperation wird in der Regel diskreter abgewickelt. Wahrscheinlicher ist, dass der Besuch, ebenso wie das deutsche Bemühen, Resolutionen europäischer Institutionen gegen den Tschetschenien-Krieg abzuschwächen, Verständnis für russische Sicherheitsinteressen signalisieren soll. Ob das genügt, um russische Maßnahmen gegen die Interessen der Nato in den Kaukasus zu verhindern, bleibt unsicher.
Die Einbeziehung Georgiens in die Nato-Strategie wird, soweit ersichtlich, von allen Mitgliedsstaaten getragen. Erschreckt über die Meldung, es seien gemeinsame russisch-georgische Manöver im Grenzgebiet zu Tschetschenien geplant, lösten sich seit Februar dieses Jahres westliche Besucher in der georgischen Hauptstadt Tiflis in rascher Folge ab. Am 23. Februar kam der britische Außenminister Robin Cook und befürwortete »die Integration Georgiens in die Euro-Atlantischen Strukturen«. CIA-Direktor George Tennet folgte ihm am 27. März, drei Tage später erschien Gerhard Schröder.
Schewardnadse versicherte ihnen, an der Präferenz für ein Bündnis mit dem Westen festzuhalten. Die georgische Regierung wünscht die Anwesenheit von Nato-Truppen, um Russland von militärischen Vorstößen auf georgisches Territorium abzuhalten. So will mander Nato einen Truppenübungsplatz zur Verfügung stellen und plant gemeinsame Manöver.
Zugleich betont Schewardnadse: »Bislang befinden wir uns in der Phase partnerschaftlicher Beziehungen zur Nato. Die nächste Etappe wird davon bestimmt, wie sich Russlands besondere Beziehungen zum Nordatlantikpakt entwickeln.« Solange Georgien zwischen der Nato und Russland laviert, müssen beide Seiten Zugeständnisse machen. Russland stundet die Gasrechnungen, der Westen zahlt weiter Kredite.
Ob diese Politik auf Dauer funktioniert, hängt von der künftigen russischen Politik und der Entwicklung im Tschetschenien-Krieg ab. In den Bergen haben die tschetschenischen Truppen neue Stellungen ausgehoben, gleichzeitig mehren sich die Angriffe in den von Russland kontrollierten Gebieten. Erstmals erklärte die russische Regierung sich jetzt zu Verhandlungen bereit, doch an der Ernsthaftigkeit des Angebots muss gezweifelt werden, denn ein Kompromiss würde die Position des neuen Präsidenten Wladimir Putin deutlich schwächen. Wenn der Krieg weitergeht, steht Putin vor der Frage, ob er seinen Truppen gestatten soll, bei der Verfolgung tschetschenischer Partisanen die Grenze nach Georgien zu überschreiten.
Auch wenn die russische Regierung keine Konfrontation mit der Nato riskieren will, bleiben ihr andere Optionen. Russland unterhält Militärbasen in Abchasien und Adscharien. Sie sollen nach einem 1999 geschlossenen Abkommen im nächsten Jahr geräumt werden. Doch der Tschetschenien-Krieg bietet ausreichende Vorwände, den Rückzug zu verschieben.
Am 29. März beantragte Putin im Parlament die Verlängerung des Mandats für die russischen Truppen in Abchasien. Ihre Anwesenheit sei notwendig zum Schutz der Rechte der Abchasen, erklärte Putin, ein russischer Rückzug könne den gesamten Kaukasus destabilisieren. Die kaum verhüllte Drohung dürfte in Tiflis verstanden worden sein. Georgien wird auch in Zukunft Rücksicht auf russische Interessen nehmen müssen.
jörn schulz