Islamistischer Überfall in der Kodori-Schlucht

Von Thomas Becker

 

6. November 2001 - Veröffentlicht in konkret Nr 12/01

 

"Ich bin mir sicher, daß wir nach Abchasien zurückkehren werden, und das wird sehr bald geschehen. Wir haben jetzt die Möglichkeiten und die internationale Unterstützung. Wir sind dem Sieg näher als jemals zuvor."(1) Als Eduard Schewardnadse, der ehemalige sowjetische Außenminister unter Michael Gorbatschow und heutige Staatspräsident Georgiens dies am 11. Oktober auf einer Vertriebenen-Kundgebung in Tiflis ankündigte, schien der Krieg schon begonnen zu haben. Eine Woche zuvor hatten etwa 500 Terroristen den offenbar von langer Hand geplanten Angriff mit dem Überfall auf abchasische Dörfer in der Gegend um die Kodori-Schlucht, der Waffenstillstandslinie zwischen den ehamilgen Kriegsparteien, gestartet. Die Invasoren hatten sich dort über Wochen hinweg vor den blindstellenden Augen der georgischen Behörden sammeln und auf den Angriff vorbereiten können. Wie die russischen Nachrichtenagenturen bereits am 24. August berichtet hatten, handelte es sich um einige georgische Milizen und eine größere Formation tschetschenischer Islamisten unter dem Kommando des im ersten Tschetschenien-Krieg als Befehlshaber der Südwest-Front berühmt gewordenen Terroristen Ruslan Gelaev. Die tschetschenischen Einheiten seien im August vom Pankisi-Tal im Osten Georgiens, der Grenze zu Tschetschenien und Dagestan, quer durch Georgien an die Schwarzmeerküste im Westen in die Kodori-Schlucht marschiert. Von georgischer Seite wurden entsprechende Nachrichten als gegen das Land gerichtete Propaganda weggewischt, bis der Raketen-Abschuß eines Hubschraubers der Vereinten Nationen über dem Kampfgebiet am 8. Oktober die Aufmerksamkeit der interationalen Öffentlichkeit auf das Geschehen.

 

Aber die Regierung in Tiflis hatte bis dahin nicht nur zu vertuschen versucht, daß ein solcher Überfall seit mehr als einem Monat von georgischem Territorium aus in aller Offenheit vorbereitet worden war, jetzt kündigte das Verteidigungsministerium auch noch die Entsendung eigener Truppen in das Kriegsgebiet an, um angeblich sich dort aufhaltende Zivilisten zu beschützen - zu einem Zeitpunkt ausgerechnet, da den abchaischen Streitkräften endlich die Einkesselung der Terroristen in der Kodori-Schlucht gelungen schien. Während an diesem 11. Oktober das erste mal abchasiche Kampfflugzeuge zur Bekämpfung der Invasoren im nördlichen, von Abchasien kontrollierten Teil der Schlucht zum Einsatz kamen, brachte Georgien in dem von ihm kontrollierten südlichen Teil seine Streitkräfte in Stellung. Gleichzeitig verstärkte Rußland die die Sicherung seiner Grenzen gegenüber Georgien und Abchasien.

 

Daß es diesmal noch nicht zum direkten Schlagabtausch zwischen Georgien und seiner ehemaligen Provinz Abchasien gekommen ist, die nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens von 1992 bis 1993 einen erbitterten Sezessionskrieg ausgetragen hatten und seither faktisch zwei Staaten bilden, ist sicherlich auch den russischen Friedenstruppen zu verdanken, die seit der Moskauer Waffenstill- standsvereinbarung vom 4. Mai 1994 in der Krisenregion stationiert sind. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die zur Sicherung des Waffenstillstands eine Beobachtermission in Georgien (UNOMIG) unterhalten, hat in seinen Resolutionen deshalb die Zusammenarbeit zwischen UNOMIG und den russischen Friedenstruppen stets als "exellent auf allen Ebenen" bezeichnet und "die Wichtigkeit der Fortsetzung und Erweiterung der Kooperation und Koordination" zwischen beiden Institutionen unterstrichen.(2) Diese Schwachstelle seiner Siegestrategie zu beseitigen war dann auch das Anliegen Schewardnadses, das er ebenfalls am 11. Oktober auf der Tifliser Vertriebenen-Kund- gebung bekanntgab: er habe das Parlament, das zeitgleich darüber eine geheime Debatte abhalte, angewiesen, über die Frage des Verbleibs der russischen Friedenstruppen in Abchasien zu entschei- den. Das Parlament gab seine Entscheidung am folgenden Tag, am 12. Oktober bekannt: das Mandat der Friedenstruppe wurde beendet, ihr wurden drei Monate Zeit zum Abzug eingeräumt.

 

Schewardnadses Absicht ist es, die derzeit im Auftrag der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (CIS), dem Verbund der Nachfolgestaaten der Sowjetunion agierenden russischen Friedenstruppen zuerst durch eine Friedenstruppe der Vereinten Nationen und später durch Nato-Truppen zu ersetzen, um mit deren Hilfe das abtrünnige Abchasien zurückzuerobern. Georgien soll sich von der CIS lösen und soll stattdessen bei der dritten Runde der Nato-Osterweiterung dabei sein. Die "internationale Unterstützung", die Schewardnadse zu diesem Zweck für sich reklamiert, kommt, wie gesehen, offensichtlich nicht von den Vereinten Nationen. Sie kommt aus Berlin. Schon jetzt ist Georgien der Staat im Südkaukasus mit der engsten Anbindung an die Europäische Union, seit April 1999 der erste Staat der Region im Europarat und tatsächlich ist Georgien auch umgekehrt der Favorit der deutschen Außenpolitik.

 

Bei dem ersten Staatsbesuch eines deutschen Regierungschefs in Tiflis am 31. März 2000 erklärte und versicherte Gerhard Schröder dem georgischen Parlament: "Georgien liegt in einer Region, die oft auch als ‚Bienenkorb der Völker' bezeichnet wird. Menschen aus 50 Nationalitäten mit 33 Sprachen leben hier auf engem Raum zusammen. Der Ausgleich ihrer Interessen und ihr Zusammenleben in modernen Nationalstaaten erfordern höchste Staatskunst...Die separatistischen Bestrebungen in Abchasien und Südossetien gefährden die innere Einheit Georgiens und verlangsamen die wirtschaftliche Entwicklung...Wir treten für die sichere Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Heimatorte ein. Bei den Vermittlungsbemühungen im Abchasien-Konflikt sind wir besonders engagiert...Der Leiter der UN-Beobachtergruppe, Dieter Boden, ist Deutscher. Deutsche Soldaten stellen das größte nationale Kontingent zur Überwachung des Waffenstillstands. Mehrfach in Folge haben wir den Leiter der OSZE-Mission in Georgien gestellt".(3)

 

Georgien hat von Deutschland seit seiner staatlichen Unabhängigkeit (1992) rund 400 Millionen Mark Entwicklungshilfe bekommen. ein Drittel der Hilfe der Europäischen Union für Georgien stammt aus der deutschen Kasse, neben weiteren Millionwn aus europäischen und internationalen Finanz- und Förderinstitutionen.

 

Aber was macht das kleine Georgien mit seinen kaum 5 Millionen Einwohnern und seiner am Boden liegenden Wirtschaft so lukrativ? Hören wir dazu nochmal Gerhard Schröder: "Die südkaukasische Region ist reich an Bodenschätzen. Der Transport von Öl und Gas zu den Weltmärkten ist eine strategische Frage. Die politische Entscheidung zum Bau der Pipelines von Baku nach Ceyhan hat die Bedeutung Georgiens für jedermann sichtbar gemacht."(4)

 

Jede Öl- oder Gasleitung vom Kaspischen Meer nach Europa muß, wenn sie nicht durch Rußland gelegt werden soll, durch Georgien. Aus diesem Grund fließt ein Großteil der Gelder, die Georgien von der Europäischen Union bekommt, über das Technische Hilfsprogramm für die Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (TACIS), also für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion (außer Baltikum, das durch ein eigenes Hilfsprogramm abgedeckt ist), für das bisher etwa 4 Milliarden Euro ausgegeben wurden. Bei TACIS geht es um all das, was für die wirtschaftliche Beherrschung eines anderen Staates von der technischen Seite her interessant ist, also z.B. Umstrukturierung von Staatsunternehmen, Entwicklung der Privatwirtschaft, Energie, Transport, Telekommunikation. "Einen wachsenden Raum haben die grenzüberschreitenden und regionalen Programme eingenommen. Zu nennen sind insbesondere TRACECA (Transport Corridor Europe Caucasus Asia) zur Entwicklung der Transport- und Verkehrsrouten entlang der historischen Seidenstraße und INOGATE (Interstate Oil and Gas to Europe) zwecks Ausbau alternativer Pipelineverbindungen in dem erdöl- und erdgasreichen kaspischen Raum."(5) Georgien ist Hauptnutznießern insbesondere letzterer Programme.

 

Im Juli 2002 sollen die konkreten Ingenieursarbeiten für den Bau der Pipelines von Baku nach Ceyhan beginnen. Auf einer Konferenz am 10. Oktober, zu der das Center for Strategic and International Studies in Washington die wichtigsten Manager des Pipeline-Projekts eingeladen hatte, wurde angesichts der Vorkommnisse in Georgien und Abchasien bereits "zusätzliches Training für die georgischen Streitkräfte"(6) eingefordert. Will man an die Energie-Resourcen rund um das Kaspische Meer gelangen, und dabei russisches Einflußgebiet umgehen, so führt an Georgien - und an der Rückeroberung Abchasiens, das jüngst seine Absicht einer Reintegration in die Russische Föderation angekündigt hat - im wahrsten Sinne des Wortes kein Weg vorbei.

 

(1) RFE/RL, Caucasus Report, IS GEORGIA PREPARING FOR A NEW WAR WITH ABKHAZIA?, 22. Oktober 2001, Volume 4, Number 35, http://www.rferl.org/caucasus-report/2001/10/35-221001.html
(2) Security Council, Resolution 1311 (2000) , 28 July 2000, http://srch1.un.org/plweb-cgi/fastweb?state_id=1004395938&view=unsearch&docrank=4&numhitsfound=189&query=unomig&&docid=1370&docdb=pr2000&dbname=web&sorting=BYRELEVANCE&operator=adj&TemplateName=predoc.tmpl&setCookie=1
(3) Gerhard Schröder, Rede des deutschen Bundeskanzlers vor dem georgischen Parlament am 31. März 2000 in Tiflis, http://dgap.org/IP/ip0009/schroeder310300.html
(4) ebenda
(5) Auswärtiges Amt, EU-Förderprogramme, http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/aussenpolitik/aussenwirtschaft/transform/eu_programme_html
(6) RFERL, Georgia, Fighting Raises Concerns Over Pipelines, 12. Oktober 2001, http://www.rferl.org/nca/features/2001/10/12102001120158.asp

www.realization.info